Mord allein macht auch nicht glücklich: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Natürlich hatte Kai in seinen Kritiken andere Maßstäbe verwendet als Frau Dr. Gruber eben in ihrer Kritik seines Buches. Und dennoch waren ihre Ausführungen eben auch eine Kritik gewesen, zwar keine ästhetisch-künstlerische, sondern eine, die von Zahlen ausging, aber dennoch eine Kritik. Eine betriebswirtschaftliche, wenn man so wollte. Aber das machte es nicht besser, und als Frau Dr. Gruber nach fünf Minuten wieder hereinkam, war Kai van Harm noch immer ganz geknickt darüber, dass sein Buch – so konnte man es wohl abschließend formulieren – durchgefallen war.
Wenigstens Frau Dr. Gruber hatte zu ihrer guten Laune zurückgefunden, und mit einem strahlenden Lachen überreichte sie Kai einen Jutebeutel mit dem Logo des Buttermann-Verlages, der ziemlich prall gefüllt war.
»Lieber Herr van Harm«, sagte Frau Dr. Gruber und ihre Stimme klang fast ein wenig feierlich, »jetzt lassen Sie mir bloß nicht den Kopf hängen. Hier haben Sie«, und mit diesen Worten übergab sie ihm den Jutebeutel, »einige unserer Erfolgstitel aus der Backlist und auch ein paar unserer Neuerscheinungen. Ich hoffe, Sie lassen sich davon inspirieren. Möglicherweise finden Sie ein paar Anregungen für sich und vor allem natürlich für Ihr nächstes Buch, auf das wir uns in jedem Fall freuen. Mit Sicherheit werden Sie sich als Kenner der Materie – als Literaturfreund, der Sie doch sind – auch an dem einen oder anderen reiben, das doch sehr ins Populärkulturelle tendiert. Aber meine Hoffnung ist, dass aus dieser Reibung ganz besondere Energien entstehen, und falls Sie die Bücher ganz und gar nicht lesen wollen …«
»Dann verkaufe ich sie einfach auf eBay«, sagte Kai van Harm, was ihm zum Abschied und zu allem Überfluss auch noch ein rügendes Stirnrunzeln von Frau Dr. Gruber einbrachte.
Zurück im Sterelle (2)
Zur selben Zeit, als Kai van Harm noch in Frau Dr. Grubers Büro in der Friedrichstraße saß, steckte Bruno seine Schlüsselkarte in die Halterung neben der Tür. Im Zimmer und im Bad gingen klackernd die Lichter an. Von der Tür aus konnte er nur den Fußteil des Bettes sehen. Er hatte es neulich leicht zerwühlt verlassen, jetzt war es gemacht. Die Überdecke war mindestens ebenso glatt gestrichen wie die Decken im Etagenbett des improvisierten Gefechtsstandes bei Kai van Harm. Die Vorhänge waren zurückgezogen, und so präsentierte das Fenster einen weiten Blick über das strahlende Frühlings-Berlin.
Bruno setzte vorsichtig einen Schritt nach vorne. Auch der dicke Teppichboden des Zimmers dämpfte die Schritte. Allerdings: Falls jemand im Zimmer war, hätte er ohnehin mitbekommen, dass Bruno eingetreten war. Und möglicherweise, fiel Bruno jetzt ein, hatte ja der Zimmerservice das »Bitte nicht stören!«-Schild an die Tür gehängt. Möglicherweise hatte die Rezeption den Service über Brunos Abwesenheit informiert. Und warum sollte auch das Zimmer jeden Tag neu geputzt werden, wenn doch der Gast ganz woanders weilte. Das Schild draußen, schloss Bruno, und damit kam er aus der Hocke hoch, atmete hörbar aus und dann tief wieder ein und zog endlich auch die Tür hinter sich zu, das Schild war nicht mehr als ein Zeichen für die Kolleginnen des Zimmerservice, dass dieses Zimmer bis auf Widerruf nicht geputzt werden müsse.
Bruno knöpfte sein verschwitztes Hemd auf, streifte es ab und feuerte es durch die offene Badezimmertür auf die weißen Kacheln neben die Dusche. Dann beschloss er, direkt die Minibar in Angriff zu nehmen, in der er noch ein paar Biere aus dem Supermarkt deponiert hatte. Er konnte jetzt eine kleine Stärkung gebrauchen. Immerhin musste er sich heute noch entscheiden, ob er zu den Bequemlichkeiten des Hotellebens zurückkehrte oder endgültig in Kai van Harms Wohnung wechselte. Eigentlich konnte er alles bequem vom Bett aus regeln. Sein Notebook war hier und sein Handy ebenfalls, und wenn er ein vertrauliches Gespräch führen wollte, konnte er sich von der Rezeption auf Kais Festnetzanschluss durchstellen lassen, den dieser so gut wie nie benutzte. Auch Rocco, Ronny und Robert konnte er aufs Zimmer bestellen, falls es etwas zu besprechen gab. Sie waren Profi genug, sich dabei nicht beobachten zu lassen.
Die Minibar war in den Schreibtisch eingebaut, und der Schreibtisch befand sich direkt unter dem Fenster, sodass man seinen Blick über die Stadt schweifen lassen konnte, wenn man etwa einen Brief schrieb. Zum Beispiel an seine Tochter. Das war eine gute Idee, egal, ob er im Hotel
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