Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord am Millionenhügel

Mord am Millionenhügel

Titel: Mord am Millionenhügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
Vom Netzwerk:
sehen etwas, was sie nicht sehen sollen. Unser Professor, das wissen wir, ist eiskalt. Der wußte vierundvierzig längst, daß das Reich nicht mehr lange existieren würde und daß er in einem nachfolgenden Staat nur dann sinnvoll würde leben können, wenn er eine weiße Weste hatte. Vielleicht hat auch Morken die ganze Sache ausgetüftelt, denn der soll ja von beiden der dominierende Partner gewesen sein. Ahrenborn ist nie in der Partei gewesen; wahrscheinlich reichte ein Bruder bei der Gestapo. Nun nehmen wir mal Folgendes an.«
    Er machte eine Pause, schüttelte den Kopf und sagte: »Klingt alles ziemlich an den Haaren herbeigezogen, und wahrscheinlich stimmt es nicht, aber nehmen wir's mal an. – Also, Ahrenborn und Morken kalkulieren: Früher oder später bricht alles zusammen, dann sitzen wir hier vielleicht nicht mehr in Deutsch-Böhmen, sondern in der Tschechei oder wie immer der Staat dann heißen mag. Wir können also sowieso nicht bleiben. Wohin? Von der einen Seite kommen die Russen, von der anderen die Amerikaner und Engländer. Logischerweise lieber nach Westen abhauen; wir kennen zu viele ehemalige russische Kriegsgefangene ... Bruder Alfred ist ein mittelhohes Tier bei der Gestapo und wahrscheinlich ›überzeugt‹. Wenn er überlebt, könnte er hinterher irgendwann den Mund aufmachen, und er weiß genau, was wir hier in den letzten Jahren gemacht haben. Irgendeine Form von gerichtlichem Nachspiel dürfte die braune Epoche auf jeden Fall haben, sei es seitens der Kriegssieger, sei es seitens eines Nachfolgestaats. Also – Bruder Alfred muß weg.«
    »Meinst du, Ahrenborn wäre ausreichend kalt für einen Brudermord?«
    Baltasar sah mich strafend an. »Wenn ich mir ansehe, was er mit Frau und Tochter gemacht hat und mit seinem Pflegesohn und wahrscheinlich mit Morken und noch mit ein paar anderen, dann trau ich ihm alles zu. Und vergiß nicht die russischen Gefangenen! – Weiter. Also, Bruder Alfred muß weg. Vielleicht, wie gesagt, stammt die Überlegung von Morken, der ja bis über die Kiemen in die Geschichte verwickelt war. Vielleicht hatten die beiden sich das schon lange überlegt und nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet. Jetzt tauchen also plötzlich die beiden Soldaten auf. Vielleicht haben sie was gesehen, vielleicht aber auch nicht; jedenfalls beschließen Ahrenborn und Morken: Das ist die Gelegenheit. Sie legen Bruder Alfred und den einen der beiden Soldaten um und denken sich die passende Geschichte dazu aus. Söhnchen Emil durfte vielleicht ein Gewehr halten, damit er auch mitspielt, oder« – er verzog das Gesicht – »er durfte sogar selbst schießen.«
    »Du solltest«, sagte ich, »Gruselgeschichten schreiben – aber du hast was vergessen. Wieso legen sie nicht auch den zweiten Soldaten um?«
    »Ah«, sagte Baltasar, »das ist doch offensichtlich. Ahrenborn ist Arzt, wie gut oder schlecht auch immer. Er hat mit einiger Sicherheit sehr schnell gesehen, daß der andere ein harmloser Idiot ist, zumindest zu dem Zeitpunkt, und daß man ihn in keine blutrünstige Geschichte als Aktivisten einbauen kann. Und eine verirrte Kugel, die den verwirrten Zuschauer zufällig trifft, würde die Geschichte belasten. Sie wäre ein Moment des Zweifels, denke ich. Anders herum, so wie es gewesen sein könnte, ist der arme Verwundete natürlich ein tolles Argument und ein Geschenk des Himmels. Er macht die Geschichte glaubwürdig.«
    Ich lachte. »Für dich vielleicht. Du hättest Friseur oder Perückenmacher werden sollen. Ich kenne keinen, der so viele einzelne Haare ohne Wurzeln aus der Luft herbeiziehen und zu einem so sinnlosen Netz verknüpfen kann. Wem willst du das erzählen? Oder gar beweisen?«
    Baltasar setzte sich wieder. »Tja«, sagte er, »das ist richtig. Aber« – er richtete sich auf und wölbte die Brust – »man muß der fortschreitenden Entvölkerung des Millionenhügels Einhalt gebieten.«
    »Wieso? Wir sind uns doch alle einig darüber, daß der Globus allzu dicht bevölkert ist.«
    Baltasar hustete. »Wohl, wohl. Ich bin aber eher für Zurückhaltung bei der Zeugung. – Burger angeschossen; Barbara Grossek erschossen; Kleinsiepe erschossen; Brockmann ist ohne jeden Zweifel ebenfalls da oben ums Leben gekommen. Und Pistorius ist tot.«
    Ich war erschlagen. »Woher weißt du das, oder willst das wissen? Hast du in Wesel etwas Neues erfahren?«
    Baltasar schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hab nichts Neues erfahren, aber sehr scharf nachgedacht. Das heißt, ich hab

Weitere Kostenlose Bücher