Mord am Millionenhügel
schon was Neues erfahren, aus einem der Briefe, die Pistorius an die alte Dame geschrieben hat.«
Er wühlte in seinem Papierhaufen und hielt mir einen Brief vor die Nase, danach einen weiteren.
»Hier«, sagte er, »schreibt Pistorius, er hätte einen interessanten Menschen kennengelernt. ›Den ehemaligen Buchhalter meines Nachbarn Pallenberg, du weißt, der Bauunternehmer.‹ Der Buchhalter ist einundsechzig und arbeitet nicht mehr. Er fährt manchmal ins Kasino nach Bad Neuenahr. Rente bezieht er offenbar noch nicht. ›Ich möchte wissen, wovon er lebt.‹ Der Brief ist ungefähr zwei Monate alt. Im nächsten heißt es, vor etwa sieben Wochen: ›Ich habe den Buchhalter, von dem ich Dir neulich geschrieben habe, eingeladen. Er kann sehr amüsant plaudern. Nach einer halben Flasche Cognac fing er an, mir sehr interessante Geschichten zu erzählen. Davon demnächst mehr‹.«
Baltasar machte eine Pause.
»Ich war gestern abend noch bei Moritz. Ihm ist eine Idee gekommen, beziehungsweise, er hat sich dunkel an etwas erinnert. Wir sind dann in seine Redaktion gefahren, nachts, und haben die Zeitungen der letzten Monate durchgeblättert.« Er schob mir mehrere Fotokopien hin.
Es handelte sich um eine Todesanzeige und zwei Meldungen. In der ersten hieß es, offensichtlich unter Alkoholeinfluß habe ein 61jähriger aus Bad Godesberg gegen 1 Uhr nachts versucht, die Fahrbahn der Konrad-Adenauer-Brücke oberhalb der Rheinaue zu überqueren, sei dabei überfahren worden und auf der Stelle gestorben. Eventuelle Zeugen würden gebeten et cetera. Die Todesanzeige galt einem Albert Westphal, der mit 61 Jahren durch einen tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen sei.
Ich blickte auf. »Ist das der Buchhalter?«
Baltasar nickte. »Lies weiter«, sagte er.
Die zweite Meldung betraf eine spezifische Form von nächtlicher Ruhestörung an der Reichsstraße am Ortsausgang Röttgen; dort sei ein in Richtung Meckenheim fahrender Wagen von der Fahrbahn abgekommen und frontal gegen einen Baum geprallt, nachdem er eine Straßenlaterne gestreift hatte. Der Fahrer habe der Polizei erklärt, er habe einem Reh ausweichen wollen. Alkoholprobe, Sachschaden und so weiter.
»Moritz«, sagte Baltasar, »hat sich umgehört. Ein Anwohner hat es um zwanzig nach eins scheppern hören und die Polizei angerufen. Dann ist er rausgegangen und hat sich mit dem Fahrer unterhalten, bis die grünen Jungs gekommen sind. Es war ein Herr Pallenberg in einem, wie Moritz zitiert, ›Knautschmercedes‹.«
Ich nickte nachdenklich. »Richtig. Pallenberg hat mir was über seinen neuen Wagen und einen Unfall erzählt. Soll ich mir das jetzt wieder zusammenreimen?«
Baltasar nickte ebenfalls und hob den Finger. »Und«, sagte er hoheitsvoll, »vergiß nicht: Die unwahrscheinlichen Zufälle sind immer mit mir, nie gegen mich!«
Ich überlegte laut.
»Wovon lebt dieser Buchhalter, wenn er nicht arbeitet und keine Rente bezieht, aber gelegentlich nach Neuenahr ins Kasino fährt? Hat er ein System? Und was für interessante Geschichten hat er Pistorius erzählt? Hat vielleicht mal wieder jemand gelauscht? Kleinsiepes wohnen im selben Haus ... Nehmen wir an, Pallenberg hat mal was Böses getan. Der Buchhalter hat davon erfahren. Er erpreßt Pallenberg. Pallenberg zahlt; damit überbrückt der Buchhalter die Zeit bis zur Rente. Vielleicht hat er zuviel verspielt und will mehr. Pallenberg hat die Nase voll. Außerdem erfährt er irgendwie, daß sein lieber alter Mitarbeiter angefangen hat zu tratschen. Also lädt er ihn zu einem Umtrunk ein, fährt ihn auf die Adenauer-Brücke, zwingt ihn auszusteigen und überfährt ihn. So ungefähr?«
Baltasar klopfte auf den Tisch. »So ungefähr! Na, was meinste?«
»Du spinnst. Wir sind doch nicht im Chicago der Prohibition. Außerdem: Wie kommt Pallenberg dann so schnell nach Röttgen?«
Baltasar betrachtete mich mißmutig. »Wir sind in Bonn anno neunzehnachtzig, das ist viel schlimmer. Und die Fahrt nach Röttgen spielt überhaupt keine Rolle. Die Leiche wurde, steht hier, gegen ein Uhr angerichtet. Wenn der schon länger tot gewesen wäre, hätte es im Bericht gestanden. Er muß also noch warm gewesen sein. Der Unfall in Röttgen war um zwanzig nach eins. In zwanzig Minuten bin ich nachts dreimal von der Adenauer-Brücke in Röttgen.«
»Baltasar«, sagte ich händeringend, »wem willst du diesen hanebüchenen Unsinn erzählen? Die Polizei will Beweise, und du kannst ja wohl kaum vorhaben, du ungeheuer loyaler
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