Mord am Millionenhügel
Spiel ist aus, mach Schluß. Oder Baltasars mysteriösem Drahtzieher. Dem Bescheid sagen, daß man die Leiche gefunden hat, und der geht zu Kleinsiepe, zwingt ihn, den Brief zu schreiben, und schießt ihm eine Kugel in den Mund.«
Moritz nickte. »So könnte es gewesen sein. Das Geständnis ist unwahrscheinlich. Oder glaubst du etwa ...?«
»Nee. Kann kaum sein. Kleinsiepe war auf seine Frau wahnsinnig eifersüchtig. Selbst, wenn er sich für ihre vielen Eskapaden revanchieren will, wird er deswegen kaum die Nachbarstochter nehmen und sie schon gar nicht erschießen, bloß weil er keinen hochkriegt. Und sie wäre bestimmt nicht gerade mit ihm in den Kottenforst gefahren.«
»Also«, sagte Moritz düster, »hat Baltasar mal wieder recht. Bloß kann das keiner beweisen, und die Polizei ist mit der Geschichte zufrieden, so wie sie ist. Nein, wie sie aussieht. Was hat Matzbach bloß noch alles in dem Geständnis gesehen?«
Wir zerbrachen uns den Kopf, kamen aber zu keinem Ergebnis. Schließlich vertagten wir uns auf den nächsten Morgen.
10. Kapitel
Ich verbrachte einen angenehmen Abend im Hause Binder, in Gesellschaft von Mutter und Tochter. Evelyn war ein wenig darüber enttäuscht, daß es ihr bisher nicht gelungen war, durch vorsichtige Fragen aus ihrer Freundin Iris Morken etwas herauszubekommen. Wir versuchten, sie mit dem Hinweis zu trösten, daß Iris wahrscheinlich nichts wüßte; für Evelyn war es jedenfalls nicht sehr erfreulich, ihre Freundin verdächtigen zu müssen, im Besitz eines finsteren Geheimnisses zu sein, und ebenso unerfreulich, nicht dahinter zu kommen.
Meine Hoffnung, daß Baltasar vielleicht im Verlauf des Abends auftauchen und Neuigkeiten verbreiten würde, erfüllten sich nicht. Gegen Mitternacht fuhren wir nach Hause.
Am nächsten Morgen tauchte Moritz nicht auf; er rief nur kurz an. »Nix Neues«, sagte er, »ich bin unterwegs. Ich melde mich vielleicht am Nachmittag.«
Ich muß gestehen, daß mir die ganze Sache immer unheimlicher wurde.
Krimis lesen, in denen irgendwelche Leute umgebracht werden, die es nur auf Papier gibt, und in denen Verbrecher in Umlauf sind, deren Wirklichkeit sich auf Wörter beschränkt, ist eine Sache, daß plötzlich um einen her tatsächlich Schüsse fallen, selbst wenn man sie nicht hört, eine ganz andere. Ferner macht es etwas aus, ob man ein hartgesottener Detektiv ist oder ein nur zufällig über solche Dinge stolpernder Zivilist. Außerdem beschäftigte mich die Angelegenheit so sehr, daß ich kaum dazu kam, an etwas anderes zu denken oder etwas anderes zu tun. Dabei hatte ich genug anderes zu erledigen, denn mein Vorrat an freier Zeit ist nicht unbegrenzt, und manchmal muß ich Geld verdienen, damit ich Baltasar zum Kaffee einladen kann.
Ich konnte wirklich nicht ahnen, daß noch am selben Tag, an diesem Dienstag, an den ich vermutlich bis an mein Lebensende denken werde, alle offenen Fragen geklärt und einige Leute, darunter auch ich, von einem nicht unerklärlichen Gruseln befallen wurden.
Nachmittags tauchte Matzbach auf. Er war fröhlich und guter Dinge, und er brachte einen Stoß Papier mit.
»Also«, sagte er, nachdem er den ersten Schluck Kaffee resorbiert hatte, »ich habe Post bekommen.«
»So, so«, sagte ich, »wer schreibt dir denn?«
Er hörte nicht hin. »Außerdem«, knurrte er, »habe ich was gelesen.«
»Nein, sag bloß. Du gibst dich ausgesucht verfeinerten Genüssen hin, neuerdings.«
Er blähte einen Moment die Wangen auf. »Halt doch mal dein Maul.« Dann zog er die Fotokopie eines alten Zeitungsartikels aus dem Papierstapel und schob sie mir hin.
»Hier, lies das!«
Ich las. Es war die Kopie des Ausschnitts einer Zeitung aus dem deutschsprachigen Randgebiet des weiland Protektorats Böhmen und Mähren. Darin stand zu lesen, daß sich im Wald von Z., in der Nähe des kleinen Krankenhauses, eine blutige Tragödie abgespielt habe. Zwei ehemalige Ostfrontsoldaten, die beide schwer verwundet worden waren und langsam wieder genasen, die beide aus der Nähe stammten, hatten sich auf einer ärztlich verordneten Wanderung befunden. Der eine von beiden, Klaus B., habe nach einer schweren Kopfverletzung die Sinne nicht wieder in der richtigen Reihenfolge zur Verfügung; er sei verwirrt, gänzlich abwesend, unfähig zu den einfachsten Handlungen, unfähig auch zur Sprache, aber harmlos. Der andere sei von mehreren schweren Bauchoperationen genesen und kümmere sich ein wenig um seinen Kameraden. Franz R. tue dies – habe
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