Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
zu sein. Wisst ihr, wie Claussen mir vorkommt?“ Bohlan machte eine rhetorische Pause. „Wie ein moderner Doktor Faust. Er fühlt sich als der größte Kriminalisten-Magier aller Zeiten.“
„Jetzt komm mal wieder runter“, sagte Will. „Du willst doch nicht im Ernst behaupten, dass er sich mit dem Teufel verbündet hat?“ Sie konnte sich ein ironisches Lächeln nicht verkneifen.
„Dreh mir nicht jedes Wort im Mund herum. Du weißt, was ich meine.“
„Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, warum du dich so echauffierst. Claussens Gedanken können uns durchaus weiterhelfen. Er hat doch selbst gesagt, dass er nur Puzzleteile liefern kann. Nicht mehr.“
„Also so eine Art Medium“, schnaubte Bohlan.
„Tom, du übertreibst wirklich.“
„Meine Meinung ist: Ihr guckt einfach zu viel
CSI Miami
.“
„Und du kommst mir vor wie
der letzte Bulle
. In den Achtzigern ins Koma gefallen und plötzlich wieder da.“
Bohlan murmelte etwas Unverständliches und verzog sich hinter seinen Computerbildschirm. Er klickte auf sein E-Mail-Programm. Eigentlich ging er nicht davon aus, wichtige Nachrichten erhalten zu haben, doch er wollte Geschäftigkeit vortäuschen und seine Ruhe haben. Ein Plan, der schon häufig funktioniert hatte. Heute jedoch nicht. Heute hatte sich das E-Mail-Programm gegen ihn verschworen. Zunächst dachte Bohlan an einen dummen Scherz, als er die Absenderzeile las:
Der Kopfjäger
. Als er die E-Mail zum Öffnen anklickte, war er immer noch amüsiert, wenngleich sich eine gewisse Unruhe in ihm breitmachte. Die Unruhe vergrößerte sich schlagartig, als er die Zeilen las: „Ich habe die Teile, die ihr sucht.“
Der Mann blickte zufrieden auf sein zweites Werk. Nataschas Kopf stand nun in einem großen Wasserbehälter. Ihre Augen waren geöffnet und blickten ihn fast freundlich an. Die Haare waren zu einem Zopf gebunden. Er war froh, dass er diese großartige Rezeptur für die Formaldehyd-Mischung in einem Internetportal entdeckt hatte. Eigentlich war es erstaunlich, dass so etwas für jeden auffindbar auf einer Seite geschrieben stand. Ein gefundenes Fressen für jeden Verrückten. Doch er selbst war nicht verrückt. Verrückt war die Welt, in der er lebte und die jeden Tag neue Perversionen produzierte. Er umschloss den Glasbehälter mit beiden Armen. Es war wie die Umarmung einer geliebten Person. Seine Seele schüttete Glücksgefühle aus, die er für einige Minuten genoss. Dann hob er den Glasbehälter an und wuchtete ihn mit großer Kraftanstrengung auf den vorbereiteten Platz im Kellerregal. Nachdem er diese Aufgabe vollendet hatte, trat er zwei Schritte zurück und musterte das Ergebnis. Er schien nicht ganz zufrieden zu sein, denn er näherte sich dem Glasbehältnis noch einmal und rückte es ein paar Zentimeter nach links. Dann trat er erneut zurück. Musterte das Ensemble und lächelte zufrieden. Lea und Natascha standen nun einträchtig nebeneinander. So, wie es sich gehörte. So, wie sie einen Großteil ihres Lebens verbracht hatten.
Schweißperlen schossen Bohlan auf die Stirn. Er spürte, dass seine Hand zitterte, als sie den Cursor auf das Symbol zuschob, das einen Bildanhang signalisierte. Bohlan zögerte. Er war neugierig auf das, was sich in diesem Anhang verbarg. Andererseits fürchtete er sich auch ein wenig davor. Er schloss die Augen und drückte auf die Maustaste. Als er die Augen wieder öffnete, schaute er auf Leas Kopf, eingelegt in ein Behältnis mit Flüssigkeit.
„O Gott“, stöhnte Bohlan auf.
„Was hast du Tom?“, wollte Will wissen.
„Ich habe Leas Kopf gefunden.“
Andreas Fischer klappte seinen Laptop zusammen und ging die Treppe hinunter. Das Haus war merkwürdig ruhig – fast so, als sei es verlassen worden. Irgendwie stimmte das auch. Die beiden Kinder waren nur noch selten zu Hause. Fischer hatte längst den Überblick darüber verloren, was sie taten. Es lag nicht nur daran, dass die beiden längst flügge geworden waren und ihrer eigenen Wege gingen. Früher war es anders gewesen. Da wusste Fischer zu jedem Zeitpunkt, wo sich die beiden aufhielten. Mittlerweile interessierte es ihn nicht mehr sonderlich. Die Familie war ihm längst fremd geworden, was nicht nur daran lag, dass die beiden ihm nicht mehr an jedem Detail ihres Lebens teilhaben ließen. Es lag auch daran, dass er sich längst mehr für seine eigenen Projekte interessierte, als für das, was in seinem Haus vor sich ging. Er ging ins Wohnzimmer und blickte durch die offene
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