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Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman

Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman

Titel: Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Röschen-Verlag
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Wasser befand. Und nun kommt der Clou: Die Lilie stand in einem direkten Kontakt zu den Zauberern. Wenn ein Kopf abgehauen wurde, wuchs sie heran. Wenn der Kopf wieder auf dem Hals steckte, verschwand sie. Von den Anwesenden nahm von ihr niemand Notiz, aber Doktor Faust erkannte den Trick.“ Annegret Will machte eine Pause und schenkte sich ein zweites Glas Schnaps ein. Als sie die Flasche über Julias Glas hielt, stellte sie fest, dass es noch randvoll war. „Soll ich das jetzt persönlich nehmen?“
    Julia Will blickte ihre Oma irritiert an. „Wie? Was meinst du?“
    „Der Marillenbrand.“
    „Ach so.“ Will blickte auf ihr Glas. „Natürlich. Ich war so im Bann deiner Geschichte.“ Sie hob das Glas an und trank es leer. Der Alkohol brannte in ihrer Kehle, während Oma Will die Gläser noch einmal füllte.
    „Die Lilie ist das Symbol für Unsterblichkeit. Was man dieser ganz besonderen Blume antut, das geschieht auch mit dem, für dessen Leben sie gerade steht. Im Guten wie im Bösen. Dieses Wissen machte sich Doktor Faust zunutze, um dem Treiben im Wirtshaus ein Ende zu setzen. Während der Kopf hin und her gereicht wurde, schlich er sich langsam nach vorne. Als erneut einem der Zauberer der Kopf abgeschlagen wurde, ritzte Doktor Faust mit dem Fingernagel die gerade erblühende Lilie an. Nun setzte der Zauberer den Kopf wieder auf den Körper, aber es geschah nichts. Kopf und Körper wuchsen nicht wieder zusammen. Der geköpfte Zauberer war tot und er blieb es auch.“ Annegret Will machte erneut eine Pause und blickte ihre Enkelin an.
    „Erzähl weiter, Oma. Was ist dann passiert?“
    „Das Entsetzen im Wirtshaus war natürlich groß. Es muss tumultartige Szenen gegeben haben. Die drei Zauberer versuchten zunächst, ihren toten Kumpanen wieder zum Leben zu erwecken – allerdings vergeblich. Dann zogen sie sich ratlos in eine Ecke zurück und steckten ihre Köpfe zur Beratung zusammen. Nach einiger Zeit erhob ihr Anführer die Stimme. „Wir haben die Zauberkräfte heraufbeschworen und sind letztlich gescheitert. Aber das kann nur eines bedeuten: Hier im Raum muss es jemanden geben, der mehr Zauberkraft hat als wir. Und das kann nur einer sein: Doktor Faust.“ Ein Raunen ging durch die Reihen und der Zauberer forderte Doktor Faust auf, sich erkennen zu geben. Dieser dachte tatsächlich einen Moment darüber nach, denn er liebte es, für seine Taten bewundert und gefürchtet zu werden. Doch nachdem er einen Moment über die Sache nachgedacht hatte, überlegte er es sich anders. Die Gefahr, dass er für sein Handeln als Mörder bestraft werden könnte, erschien ihm als zu groß. Zusammen mit den entsetzten Gästen verließ er das Lokal. Erst als er außer Reichweite war, begann er düster und zufrieden in die dunkle Nacht hinein zu lachen – tief aus seiner finsteren Seele heraus, die er dem Teufel verschrieben hatte.“

Mittwoch
    Tom Bohlan saß in Felicitas Maurers Dienstzimmer und blickte angestrengt in die Runde. Sein Blick wanderte über die Gesichter von Will, Steininger, Steinbrecher und Gerding. Alle schauten wie gebannt auf Professor Claussen, der zusammen mit Maurer am Kopfende des Tisches saß und über das Wesen eines Serienmörders referierte. Die Augen seiner Kollegen schienen förmlich an den Lippen des Profilers zu kleben. Bohlan fühlte sich in einer verkehrten Welt. Zählten die Erfolge der vergangenen Jahre plötzlich nichts mehr? War er wirklich der Einzige, der vollends auf die eigene Stärke und die herausragende Teamarbeit vertraute, die sie verband? Er hatte den Eindruck, in die Augen einer Schulklasse zu blicken, die zum ersten Mal im Leben etwas über Ermittlungsarbeit erzählt bekommt. Zugegebenermaßen umgab Professor Claussen eine ganz besondere, unantastbar wirkende Aura. Er war groß und schlank. Seine grauen Haare trug er gescheitelt. Die hellblauen Augen schienen sich durch die Augen der Zuhörer direkt in ihre Denkzentren zu bohren, um dort die Kontrolle zu übernehmen. Claussen sprach pointiert und fesselnd. Er machte die Pausen immer an den richtigen Stellen und ließ seine strahlend weißen Zähne gekonnt aufblitzen. Kurz gesagt: Er schien perfekt. Vielleicht lag es am Restalkohol in Bohlans Blut, dass er Claussens Show nicht erlag. Er schaute zu Steinbrecher, an dem der Abend offenbar spurlos vorübergegangen war. Er blickte wieder nach vorne zu Claussen, der immer noch sprach und dabei leicht auf seinen Füßen federte. Bohlan hatte vor einigen Jahren einmal ein

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