Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
überging die tadelnde Bemerkung: „Der Schüler heißt Tobias Hoffmann und hat mir den Artikel vorhin gebracht.“
Maurer wandte ihren Blick wieder auf das vergilbte Stück Zeitungspapier und überflog noch einmal die Zeilen. Dann lehnte sie sich in ihren Stuhl zurück und musterte Steininger.
„Was hast du vor?“
„Ich werde mich mit den Ermittlungsbehörden in Gießen in Verbindung setzen. Vielleicht können die die Akten von damals auftreiben.“
„Ich muss dich leider ein paar Minuten alleine lassen. Der nächste Gang benötigt einige Vorbereitungen.“ Pergande stellte die Suppenteller zusammen. „Wenn du willst, kannst du einen Blick auf meine Ausarbeitung werfen.“
Von Lichtenhagen sah ihn fragend an. Er wandte den Blick zu einem Sideboard. Von Lichtenhagen erhob sich, griff den blauen Ordner und begann darin zu blättern. Es war eine Konzeption, in der Pergande seine Gedanken zur weiteren Entwicklung der Willy-Brandt-Schule niedergeschrieben hatte. Annette von Lichtenhagen überflog das Papier und musste neidlos anerkennen, dass es ein sehr gutes Konzept war. Sie spielte mit dem Gedanken, es dem Schulamt gegenüber als ihre Ideen zu verkaufen, und legte das Papier nachdenklich zur Seite. Ihr Blick wanderte über die Tischdekoration, die sie bislang völlig ignoriert hatte. Weiße Tischdecke, silbernes Besteck, Kristallgläser. In der Tischmitte lag ein grüner Läufer, darauf standen kleine Kräutertöpfchen. Erstaunlich, dass sich ein Mann um solche Details kümmerte. Dann fiel ihr Blick auf eine einzelne Blume, die in einer Vase zwischen den Kräutertöpfchen stand. Eine weiße Lilie, deren Blüte etwas zur Seite hing. Sie wollte nach der Vase greifen, doch irgendetwas hielt sie davor zurück. Eine weiße Lilie! In Annette von Lichtenhagens Gehirnwindungen ratterte es. Hatte die Lilie wirklich die Bedeutung, die man ihr zuschrieb? Wie gelähmt saß sie auf ihrem Platz und starrte auf die Lilie. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, die Polizei einzuschalten? Sie hatte sich bewusst dagegen entschieden, weil sie geglaubt hatte, stark genug zu sein. Aber was, wenn sie es nicht war? Was, wenn Pergande sich nicht manipulieren ließ? Ein kleiner Hinweis an die Polizei wäre doch nicht so schlecht gewesen. Und wenn er nur als eine Art Rettungsanker fungiert hätte. Vielleicht gab es noch eine Möglichkeit, Kommissar Bohlan zu erreichen?
„Geht es dir nicht gut?“ Aus ihren Gedanken aufgeschreckt, blickte von Lichtenhagen in Pergandes Augen. Er wirkte nicht mehr so konfus wie früher. Sein Gesichtsausdruck war entschlossen und überlegen zugleich. Von Lichtenhagen begann zu transpirieren. Sie fühlte, dass sie die Kontrolle über das Geschehen verlor.
„Doch, doch. Ich war nur in Gedanken.“
Pergandes Blick flog zur Lilie und zurück zu von Lichtenhagen, als wolle er prüfen, ob eine Verbindung zwischen den beiden bestand.
„Wirklich, Michael. Die letzten Wochen waren für mich der reinste Horror. Die Probleme in der Schule, die Morde an den Mädchen und jetzt auch noch der Tod von Andreas.“
„Ja, es ist eine schwierige Zeit. Glaubst du etwa, mich würde das alles kalt lassen?“
Pergande sah von Lichtenhagen prüfend an. Die Rektorin versuchte, ihm in die Augen zu blicken, schaffte es aber nur für kurze Zeit, dann glitt ihr Blick auf den Tisch. „Ich bin froh, dass du heute für mich kochst. Es ist gut, einmal über die Zukunft zu sprechen.“ Immer wieder schaute sie zu Pergande, dessen Gesicht sich bei dem Wort Zukunft erkennbar aufhellte.
„Ja, da hatte ich eine wirklich gute Idee, nicht wahr?“ Pergande musterte noch einmal den Tisch. „Dann sollten wir zum nächsten Gang übergehen.“
„Die Taube scheint ausgeflogen zu sein“, sagte Bohlan und ließ den Finger von der Klingel gleiten. Er blickte resigniert zu Julia Will, die einen zerknirschten Gesichtsausdruck machte.
„Und wenn nicht? Was, wenn sie nicht aufmachen kann?“
Bohlan fuhr sich mit der Hand über den Kopf, wie er es für gewöhnlich tat, wenn er nachdachte und blickte die Hausfassade entlang. Alles war dunkel. Er ertappte sich bei dem Gedanken, über den Zaun zu klettern. Vielleicht war eines der Fenster nicht verschlossen und er könnte in die Villa eindringen.
„Das macht keinen Sinn“, sagte Will, die zu erraten schien, was Bohlan dachte. Zur Unterstützung ihrer Worte hielt sie ihn am Arm fest. In diesem Augenblick wurden die beiden vom Lichtstrahl eines Autoscheinwerfers erfasst und
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