ohne Mr. Greenaway auch nur einen Schluck
Tee hinzustellen. Doch den munteren Sechzigjährigen schien es nicht weiter zu
kränken, daß er übergangen wurde. Verschmitzt zwinkerte er Morse zu, «Alles in
Ordnung, Chef?»
«Danke, ich glaube, ich bin auf
dem Weg der Besserung», sagte Morse vorsichtig.
«Ha! Das hat der alte Oberst
auch gesagt.
Der arme Teufel.»
«So, hat er das?» murmelte
Morse unbehaglich.
Nachdem der Ausdruck
pietätvoller Bekümmerung auf Greenaways Gesicht gewichen war, wagte Morse einen
Vorstoß.
«Sie bekommen nicht einmal
Tee?»
Greenaway schüttelte den Kopf.
«Nein. Aber die werden schon wissen, was das Beste für mich ist, denke ich.»
«Meinen Sie?»
«Aber ja! Die Ärzte hier sind
großartig! Und die Schwestern erst!»
Morse nickte. Er hoffte nur,
daß Greenaway mit seiner Einschätzung recht hatte.
«Sie haben das gleiche wie ich,
nicht wahr?» fragte Greenaway in vertraulichem Ton.
«Wie bitte?»
«Der Magen — oder?»
Morse nickte. «Es heißt, ich
hätte ein Magengeschwür.»
«Meines war schon
durchgebrochen.» Greenaway verkündete die Tatsache, als gebe sie Anlaß zu
Stolz. «Um zehn werde ich operiert, deshalb durfte ich auch eben nichts
trinken.»
«Ach so.» Einen Moment lang
verspürte Morse den irrationalen Wunsch, sich ebenfalls mit einer gefährlich
klingenden Diagnose brüsten zu können — mit einem ganzen Dutzend
durchgebrochener Magengeschwüre am besten —, doch dann wurde seine
Aufmerksamkeit abgelenkt, denn Violet mit ihrem Teewagen stand neben seinem
Bett.
Sie begrüßte ihren neuen
Schützling mit einem vergnügten Lächeln. «Morgen, Mister... äh (sie warf einen
Blick auf sein Namensschild über dem Bett) äh... Mister Morse!»
«Guten Morgen», antwortete
Morse freundlich. «Ich hätte gern einen Kaffee — mit zwei Löffeln Zucker.»
«So, so! Zwei Löffel Zucker!»
Violet verdrehte in gespieltem Erstaunen die Augen, so daß nur noch das Weiße
zu sehen war. Dann blickte sie zu Greenaway hinüber, und beide tauschten ein
einverständiges Lächeln, als handele es sich bei Morse’ Bitte um einen geglückten
Scherz. «Ich muß Ihnen leider sagen», sagte sie dann zu Morse gewandt, «daß Sie
weder Kaffee noch Tee und auch keinen Zucker bekommen dürfen.» Sie wies mit dem
Zeigefinger auf die Wand hinter seinem Bett, und Morse verrenkte sich beinahe
den Hals, um zu entziffern, was auf dem kleinen Kärtchen dort geschrieben
stand: NICHTS ORAL!
Kapitel
3
Blumen,
Schreibmaterial und Bücher sind im Krankenhaus stets willkommene Geschenke.
Falls Sie jedoch dem Patienten etwas zu essen oder zu trinken mitbringen möchten,
fragen Sie bitte vorher eine Schwester. Sie wird Ihnen sagen, was erlaubt ist.
Gesundheitsbehörde
Oxford, Merkblatt für Patienten und Besucher
Abends, kurz nach sieben Uhr,
betrat Detective Sergeant Lewis den Krankensaal. Er trug verstohlen eine
Plastiktragetasche von Sainsbury unter dem Arm. Sein Gesichtsausdruck ähnelte
dem eines Touristen, der mit schlechtem Gewissen eine Stange Zigaretten durch
den Zoll zu schmuggeln versucht. Morse war über Lewis’ Auftauchen erfreut und
gerührt.
«Woher wußten Sie, daß ich hier
bin?»
«Na, wofür bin ich denn bei der
Polizei!»
«Ich nehme an, man hat Sie
angerufen?»
«Ja. Strange höchstpersönlich.
Er sagte, Sie hätten gestern morgen am Telefon ziemlich erbärmlich geklungen,
deshalb hat er Dixon bei Ihnen vorbeigeschickt, aber der kam zu spät, man hatte
Sie schon abtransportiert. Strange rief mich dann an und fragte, ob ich nicht
Lust hätte, wieder einmal nachzuprüfen, wie unser Gesundheitssystem
funktioniere — und mich zu erkundigen, ob Sie etwas brauchten.»
«Wie zum Beispiel eine Flasche
Scotch?»
Lewis überhörte die Bemerkung.
«Ich wäre schon gestern abend gekommen, aber man sagte mir, Besuche seien nicht
erlaubt — das heißt, außer von nahen Angehörigen», setzte er zögernd hinzu.
«Warum denn plötzlich dieser mitleidige
Ton?» fragte Morse. «Sie denken wohl, ich sei mutterseelenallein auf der Welt,
was, Lewis? Dem ist aber nicht so. Ich habe nämlich eine Großtante. Sie wohnt
oben in Northumberland. Der Ort heißt Alnwick.»
«Ein bißchen zu weit, um mal
eben vorbeizukommen», sagte Lewis.
«Besonders, wenn man schon
siebenundneunzig ist...»
«Strange ist eigentlich ganz in
Ordnung, nicht?» bemerkte Lewis nach einer verlegenen kleinen Pause.
«Na ja, man muß ihn eben nur
ziemlich gut