Mord am Oxford-Kanal
er
seinem Magen unter diesen Umständen bereits wieder einen Weetabix zumuten
könne. Da klingelte das Telefon.
«Hier Morse», meldete er sich.
«Guten Morgen, Sir.» (Welch
angenehme Stimme!) «Würden Sie bitte einen Augenblick am Apparat bleiben? Der
Superintendent möchte Sie sprechen.»
Morse blieb — er hatte ja auch
kaum eine andere Wahl — und überflog, während erwartete, die Schlagzeilen der Times, die ihm gerade durch den Briefschlitz gesteckt worden war. Wie immer samstags
reichlich spät.
«Ich stelle Sie jetzt durch zum
Superintendent», sagte dieselbe angenehme Stimme. «Einen Moment noch.» Morse
schwieg, aber er schickte ein Stoßgebet zum Himmel (für einen
Low-Church-Atheisten schon eine Überwindung), daß Strange sich beeilen und ans
Telefon kommen möge, um ihm endlich mitzuteilen, was immer es mitzuteilen
gab... Auf Morses Stirn begannen sich Schweißperlen zu bilden, und er suchte
mit der Linken in den Taschen seines Pyjama-Oberteils nach einem Taschentuch.
«Hallo, Morse? Sind Sie am
Apparat? Ah, ja? Tut mir leid, daß Sie sich nicht wohl fühlen, alter Junge.
Geht zur Zeit vielen so. Den Bruder meiner Frau hat es auch erwischt — wann war
es doch gleich — , muß jetzt zwei Wochen hersein, glaube ich. Nein, stimmt gar
nicht, eher drei Wochen. Aber das tut jetzt ja auch nichts zur Sache.»
Der Schweiß floß jetzt in
Strömen, und Morse wischte sich immer wieder mit dem Taschentuch über die
Stirn, während er pflichtschuldig ein zustimmendes Gemurmel von sich gab.
«Ich habe Sie hoffentlich nicht
aus dem Bett geholt?»
«Nein, das nicht, Sir.»
«Gut. Ich dachte, ich ruf mal
schnell bei Ihnen an. Äh... Ach, übrigens, Morse...» (offenbar hatte Strange
sich jetzt zu dem durchgerungen, was er sagen wollte) «es besteht keinerlei
Notwendigkeit für Sie, heute ins Präsidium zu kommen, keinerlei Notwendigkeit.
Es sei denn, Sie fühlten sich schon bedeutend besser. Ich denke, wir werden
hier auch ohne Sie schon zurechtkommen. Auf den Friedhöfen hegen reihenweise
Männer, die sich für unentbehrlich hielten, ist es nicht so?»
«Vielen Dank, Sir. Sehr
freundlich von Ihnen, mich anzurufen. Ich weiß es wirklich zu schätzen.
Allerdings hätte ich dieses Wochenende ohnehin frei gehabt...»
«Ach? Na, um so besser. Trifft
sich gut, nicht wahr? Da können Sie ja in aller Ruhe im Bett bleiben.»
«Ja, vielleicht, Sir», sagte
Morse erschöpft.
«Aber Sie sagten, Sie seien
auf, oder?»
«Ja, Sir.»
«Nun, dann machen Sie, daß Sie
jetzt schnell wieder ins Bett kommen, Morse. So ein freies Wochenende ist doch
die ideale Gelegenheit, sich mal so richtig zu erholen. Genau das, was Sie
brauchen, wenn Sie sich nicht ganz wohl fühlen — ein bißchen Ruhe, Erholung...
Das hat der Arzt auch dem Bruder meiner Frau gesagt, als der... wann war das
noch gleich...»
Hinterher meinte Morse sich zu
erinnern, daß er das Telefongespräch mit Strange trotz allem noch halbwegs
anständig über die Bühne gebracht hätte, einschließlich einiger angemessen
besorgter Äußerungen bezüglich dem Ergehen von Stranges Schwager, doch vor allem
hatte sich ihm eingeprägt, daß sich seine Stirn, als er mit der Hand
darübergefahren war, plötzlich nicht nur feucht, sondern sehr, sehr kalt
angefühlt hatte, und wie er dann zwei-, dreimal tief Luft geholt und plötzlich
aufgesprungen und ins Bad gelaufen war...
Mrs. Green, seine Putzfrau, die
jeden Dienstag- und Samstagvormittag bei ihm saubermachte, warf nur einen
kurzen Blick auf ihn, wie er da, an die Wand gelehnt, auf dem Boden des
Eingangsflurs saß, dann stürzte sie zum Telefon, wählte den Notruf und
bestellte einen Krankenwagen. Ihr Arbeitgeber war bei Bewußtsein, allem
Anschein nach nüchtern und sah halbwegs manierlich aus bis auf die
rötlichbraunen Flecken auf der Vorderseite seiner Schlafanzugjacke, Flecken,
die Mrs. Green sowohl was ihre Farbe als auch was ihre Konsistenz anging,
lebhaft an den Bodensatz in ihrer Kaffeemaschine erinnerten. Sie wußte nur zu
genau, was diese Flecken bedeuteten. Der Arzt damals hatte ihr ohne jede
Schonung mit brutaler Offenheit gesagt — fünf Jahre war das nun her daß ihr
Mann, wenn sie ihn nur rechtzeitig genug ins Krankenhaus gebracht hätte, noch
am Leben sein könnte...
«Ja, genau», hörte sie sich
überraschend bestimmt sagen, «gleich südlich vom Banbury-Road-Kreisverkehr. Ja,
ich werde an der Tür auf Sie warten.»
Um Viertel nach zehn ließ sich
Morse ohne allzu großes
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