Mord au chocolat
tatsächlich – in diesem Moment befummeln sie sich.
Nun, wenigstens sind sie da – nicht weil sie bedroht wurden, sondern um Owen die letzte Ehre zu erweisen. In meinen Augen brennen Tränen. Großer Gott, was passiert mit mir? So emotional habe ich noch nie auf einen Mord in der Fischer Hall reagiert. Obwohl in ihren Mauern ziemlich viele Leute umgebracht wurden. Und dieses Opfer mochte ich nicht einmal.
Als Dr. Jessup ins Mikrofon hustet, wende ich mich wieder zum Podium. Er dankt Reverend Mark für seine wundervolle Rede und verkündet, die Fischer-Hall-Bibliothek wird von jetzt an Owen-Leonard-Veatch-Bibliothek heißen. Eine Plakette soll graviert werden, und sobald sie fertiggestellt ist, wird eine Einweihungszeremonie stattfinden.
Dieser Information folgt freundlicher Applaus. Danach bittet Dr. Jessup um Spenden für die Owen-Leonard-Veatch-Bibliothek, die man ins Verwaltungsbüro der Fischer Hall schicken möge.
Oh, großartig. Jetzt muss ich tagelang, zusätzlich zu all meinen anderen Pflichten, auch noch Schecks überprüfen. Schließlich verkündet Dr. Jessup, im Atrium des Stadiongebäudes vor dem Fitnessbüro werden von sechs Uhr bis halb sieben Erfrischungen serviert.
Plötzlich verwirrt der Jugendgruppenchor alle Anwesenden mit einer lebhaften Darbietung eines Songs aus dem Musical »Hair«. Obwohl »Good Morning Starshine« nicht unbedingt der musikalische Beitrag ist, den man bei einer Trauerfeier erwartet. Genau genommen erwartet man, »Good Morning Starshine« nirgendwo zu hören.
Aber die Mrs Veatches scheinen sich, ebenso wie Mrs Allington, zu amüsieren. Alle drei betupfen ihre Augenwinkel mit Taschentüchern. Sogar Mrs Veatch Senior erwacht. Mit durchdringender Stimme fragt sie: »Ist es jetzt vorbei? Ist es vorbei?«
Bedauerlicherweise verstummt der Song viel zu früh. Dr. Jessup beugt sich wieder zum Mikrofon vor: »Jetzt wird die junge Dame, mit der Dr. Veatch am engsten zusammengearbeitet hat, die Assistenzleiterin der Fischer Hall, unsere Heather Wells, ein paar Worte sagen. Heather?«
Meine Herzschläge, die sich seit dem Abschied von Cooper normalisiert haben, spielen wieder verrückt. In meiner Pop-Karriere hatte ich niemals Probleme mit Lampenfieber. Hinter einem Song kann man sich wenigstens verstecken.
Aber wenn man in der Öffentlichkeit sprechen muss – vergessen Sie’s. Viel lieber würde ich an einem Liftkabel hängen oder von einem durchgeknallten Boss der Studentenvereinigung attackiert werden, als da hinaufzusteigen und vor all den Leuten zu reden. Ich umklammere meine Notizen und versuche, meine Angst hinunterzuschlucken. Toms geflüsterte Ermunterung: »Das schaffst du!« tröstet mich ebenso wenig wie Muffys Vorschlag: »Stellen Sie sich das Publikum in Boxershorts oder Unterhöschen vor!« So etwas funktioniert großartig in der TV-Serie »Drei Mädchen und drei Jungen«. Aber im wirklichen Leben? Wohl kaum.
Resignierend klettere ich aufs Podium und bereue bitterer denn je, dass ich nicht nach Hause gegangen bin und mich umgezogen habe. Stattdessen bin ich genauso gekleidet wie eine x-beliebige Studentin.
Muss ich mich übergeben? Davon bin ich fast überzeugt, als ich mich zu einem Meer aus Gesichtern wende. Dabei merke ich, dass ich viel mehr Leute kenne, als ich dachte. Direkt vor mir, inmitten der Klappstühle, sitzt Tad, der eine Hand hebt und ermutigend lächelt. Irgendwie schaffe ich ein schwaches, aber dankbares Grinsen …
... das sofort erstirbt, als ich vier Reihen hinter ihm Cooper erkenne. Auch er hebt eine Hand, weil er glaubt, mein Lächeln würde ihm gelten.
O Gott. Ich werde mich tatsächlich übergeben. Das weiß ich.
Ich starre die Notizen an, die ich vor mir aufs Pult gelegt habe, und schüttle den Kopf. Das kriege ich nicht hin. Unmöglich. Warum kann ich nicht einfach hinter Reverend Mark herlaufen und ihn ein paar Mal in den Hintern treten? Das wäre viel einfacher.
»Hi«, sage ich ins Mikrofon. Verwirrend hallt meine Stimme durch das ganze Stadion. Hi... Hi... Hi... »Das Erste, was Dr. Owen Veatch bei seinem Amtsantritt im Büro der Fischer-Hall-Leitung auspackte, war sein Garfield-Kalender.« Danach verstumme ich und warte ab, wie das Publikum auf diese Information reagiert. Alle schauen mich ausdruckslos an – alle außer Tom, der die Hände vors Gesicht schlägt. Und Tad, der ermutigend lächelt. Cooper blinzelt einfach nur verwirrt.
Da entdecke ich meinen Dad an Coopers Seite. O Gott, auch mein Dad ist hier? Nein, es gibt
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