Mord au chocolat
Ausbildungsstätte verwandeln wollte«, fügt Reverend Mark hinzu, »dieser Mann starb in Ausübung seines Berufs, dem er sich sein halbes Leben lang selbstlos widmete, um den jungen Menschen dieses Landes beizustehen. Über zwanzig Jahre lang war er für unsere Kinder tätig.«
Nun erwärmt er sich für sein Thema. Die Chormitglieder auf einer Tribüne an einer Seite des Podiums starren ihn hingerissen an. Fast so hingerissen wie Muffy und Tom. Jamie ist nicht da. Kein Wunder. Niemand im Chor scheint sie zu vermissen. In ihren goldenen und weißen Roben sehen die Sänger und Sängerinnen wie Engel aus. Ganz anders als in ihren normalen Outfits. Einige kenne ich, weil sie in der Fischer Hall wohnen. Einige von ihnen muss ich dauernd bestrafen, weil sie unter ihren Mänteln immer wieder Bierfässer ins Haus schmuggeln.
»Wegen seines Talents, mit jungen Leuten umzugehen, verehrt und hochgeschätzt, wird Dr. Veatch eine schmerzliche Lücke hinterlassen«, teilt der Reverend uns mit. »Suchen wir Trost in den Worten unseres Herrn Jesus, der uns in Johannes, Kapitel drei, Vers fünfzehn versichert, dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.«
Ich schaue zu den Mrs Veatches hinüber, um zu sehen, ob sie aus diesem Rat Trost schöpfen. Allem Anschein nach ist Mrs Veatch Senior eingeschlafen. Die Lippen leicht geöffnet, starren Pam und Mrs Allington zu Reverend Mark hinauf. Vielleicht sind sie bisher nicht auf den Gedanken gekommen, Owen könnte im Reich des Herrn das ewige Leben genießen. Wie ich zugeben muss, habe ich diese Möglichkeit auch noch nicht erwogen. Aber ich kenne die Bibel nicht allzu gut.
An Mrs Allingtons Seite vertieft sich ihr Ehemann, Präsident Allington, in seinen BlackBerry. Als ich genauer hinschaue, merke ich, dass er weder seine E-Mails checkt noch im Netz surft. Stattdessen spielt er Fantasy Football.
»Nun rufe ich alle Pansies auf«, fährt der Reverend mit seiner tiefen, melodischen Stimme fort, »nicht um Dr. Veatch zu trauern, seinen Tod nicht zu beweinen, sondern seine Ankunft im Königreich des Herrn zu feiern.«
Offenbar nähert er sich dem Ende seiner Ansprache, und der Chor bereitet sich auf die nächste Nummer vor. Wir wurden bereits mit »Bridge Over Troubled Water« beglückt. Während ich die Notizen für meine Rede durchsehe, frage ich mich, welcher musikalische Genuss uns noch erwartet. Keine Ahnung, welche Musik Owen mochte... Wie ich mich entsinne, hat er einmal Michael Bolton erwähnt.
Unwillkürlich erschauere ich, und Tom schaut wissend zu mir herüber. »Klar, wenn sie so weitermacht, muss sie rausgetragen werden.« Bedeutsam weist sein Kinn in Mrs Allingtons Richtung.
Nachdem der Reverend mehrmals versichert hat, im Haus des Herrn würde es dem Verstorbenen viel besser
gehen als im Apartment, das er zuvor bewohnte – mit nur einem Schlafzimmer -, verlässt er das Podium und wischt mit einem Taschentuch über seine Stirn. Hinter ihm weht sein langes Chorhemd. Muffy schenkt ihm ihr breites, zähnefletschendes Miss-Amerika-Lächeln, als er an ihr vorbeigeht, und er lächelt zurück. Aber nicht ganz so breit.
Dann fällt sein Blick auf mich, das Lächeln entgleist und erlischt endgültig. Vielleicht könnte man sagen, sein Blick wirkt – mörderisch.
Ohne jeden Zweifel – Reverend Mark mag mich nicht besonders. Weil er damit beschäftigt ist, mich mit diesem tödlichen Blick zu durchbohren, stößt er fast mit Dr. Jessup zusammen, der jetzt zum Podium geht. Die beiden schütteln sich die Hand, wechseln ein paar Worte, und der Geistliche legt tröstend eine Hand auf die Schulter des Housing-Abteilungsleiters.
Diese kurze Pause nutze ich, um mich im umgetauften – aus Gründen, die besser unerwähnt bleiben – New York College Sports Center-Stadion umzusehen. Alle Klappstühle und fast alle Tribünen sind mit Leuten gefüllt, die Owen nicht kannten. Sicher sind die meisten nur erschienen, um die Gedenkfeier für ein Mordopfer zu beobachten. Am Boden liegen Blumen zwischen den TV-Teams von den lokalen Nachrichtensendern. Abgesehen vom Chor der Jugendgruppe und den Fischer-Hall-Bewohnern und -Bewohnerinnen, die Tom zum Besuch der Trauerfeier verpflichtet hat, mit der Androhung, sie müssten extra Schichten an der Rezeption absolvieren, wenn sie nicht auftauchten, sehe ich fast keine Studenten.
Aber da dort... Erst jetzt entdecke ich Jamie und Gavin,
hoch oben auf einer Tribüne. Sie halten sich an den Händen. Und ja –
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