Mord auf dem Golfplatz
wissen schon alles über Monsieur Renaulds Vorlieben und Unternehmungen, und von einer Minute zur anderen können sie uns erzählen, welche Summen Madame Daubreuil in letzter Zeit auf ihr Bankkonto eingezahlt hat. Zweifellos führen sie ihre Dossiers auf absolut vorbildliche Weise. Doch was ist das?« Er fuhr herum.
Eine hutlose Gestalt kam uns nachgelaufen. Es war Marthe Daubreuil.
»Verzeihen Sie«, rief sie atemlos, als sie bei uns anlangte. »Das – das ist nicht richtig von mir, das weiß ich. Sie dürfen es meiner Mutter nicht verraten. Aber stimmt es, was behauptet wird, dass Monsieur Renauld vor seinem Tod einen Detektiv um Hilfe gebeten hat – und dass Sie dieser Detektiv sind?«
»Ja, Mademoiselle«, antwortete Poirot freundlich. »Das stimmt. Aber woher wissen Sie das?«
»Françoise hat es unserer Amélie erzählt«, erklärte Marthe und wurde rot.
Poirot schnitt eine Grimasse.
»In solchen Fällen lässt sich einfach nichts geheim halten. Aber das ist ja auch egal. Nun, Mademoiselle, was kann ich für Sie tun?«
Die junge Frau zögerte. Ich hatte den Eindruck, dass sie sprechen wollte und sich doch davor fürchtete.
Endlich fragte sie, fast flüsternd: »Steht – steht jemand unter Verdacht?«
Poirot musterte sie forschend. Dann antwortete er ausweichend: »Es ist durchaus von einem Verdacht die Rede, Mademoiselle.«
»Ja, ich weiß, aber – gilt er einer bestimmten Person?«
»Warum wollen Sie das wissen?«
Diese Frage schien der jungen Frau Angst zu machen. Mir fiel ein, wie Poirot sie einige Stunden zuvor bezeichnet hatte. Das Mädchen mit den ängstlichen Augen.
»Monsieur Renauld war immer sehr nett zu mir«, sagte sie endlich. »Da ist es doch nur natürlich, dass ich das wissen möchte.«
»Ich verstehe«, sagte Poirot. »Nun, Mademoiselle, derzeit richtet der Verdacht sich auf zwei Personen.«
»Auf zwei?«
Ich hätte schwören können, dass in ihrer Stimme Überraschung und Erleichterung mitschwangen.
»Ihre Namen sind uns noch unbekannt, aber es scheint sich um Chilenen aus Santiago zu handeln. Und hier sehen Sie, Mademoiselle, dass es sich lohnt, jung und hübsch zu sein. Ich habe Ihnen ein amtliches Geheimnis verraten.«
Die junge Frau lachte auf und bedankte sich dann schüchtern bei ihm.
»Ich muss nach Hause. Maman vermisst mich sicher schon.«
Sie machte kehrt und rannte wie eine moderne Atalante die Straße hoch. Ich starrte ihr hinterher.
»Mon ami«, sagte Poirot in seinem sanften, ironischen Ton. »Müssen wir die ganze Nacht hier stehen bleiben, nur weil Sie eine schöne junge Frau gesehen haben und jetzt ganz wirr im Kopf sind?«
Ich lachte und bat um Entschuldigung.
»Aber sie ist wirklich schön, Poirot. Sie können doch niemandem Vorwürfe machen, der überwältigt ist von ihr.«
Doch zu meiner Überraschung schüttelte Poirot sehr ernst den Kopf.
»Ah, mon ami, hängen Sie Ihr Herz nicht an Marthe Daubreuil. Sie ist nicht die Richtige für Sie. Lassen Sie sich das von Papa Poirot sagen!«
»Warum denn?«, rief ich. »Der Kommissar hat doch gesagt, sie sei ebenso gut wie schön. Ein perfekter Engel!«
»Einige der größten Verbrecher, die ich gekannt habe, hatten wahre Engelsgesichter«, sagte Poirot fröhlich. »Eine Missbildung der grauen Zellen kann durchaus mit einem Madonnengesicht einhergehen.«
»Poirot«, rief ich entsetzt. »Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie dieses unschuldige Kind verdächtigen?«
»Ta-ta-ta! Regen Sie sich nicht so auf. Ich habe nicht gesagt, dass ich sie verdächtige. Aber Sie müssen doch zugeben, dass sie ein ungewöhnliches Interesse an diesem Fall zu haben scheint.«
»Dieses eine Mal sehe ich mehr als Sie«, sagte ich. »Sie denkt dabei nicht an sich selbst – sondern an ihre Mutter.«
»Mein Freund«, erwiderte Poirot, »wie zumeist sehen Sie gar nichts. Madame Daubreuil kommt sehr gut zurecht, ohne dass ihre Tochter sich Sorgen um sie macht. Ich gebe zu, ich wollte Sie ein wenig aufziehen, aber ich möchte mich trotzdem wiederholen: Hängen Sie Ihr Herz nicht an dieses Mädchen. Sie ist nicht die Richtige für Sie. Ich, Hercule Poirot, bin mir da sicher. Sacré! Wenn ich nur wüsste, woher ich ihr Gesicht kenne!«
»Wessen Gesicht?«, fragte ich überrascht. »Das der Tochter?«
»Nein. Das der Mutter.«
Er sah, wie überrascht ich war, und nickte energisch.
»Doch, wirklich – das stimmt. Es ist lange her, damals war ich noch bei der belgischen Polizei. Ich habe diese Frau noch nie gesehen,
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