Mord auf dem Golfplatz
junge Göttin vom Nachmittag. Als sie uns sah, wurde sie leichenblass und riss besorgt die Augen auf. Sie hatte Angst, das stand fest.
»Mademoiselle Daubreuil«, sagte M. Hautet und nahm seinen Hut ab, »es tut uns unendlich Leid, Sie stören zu müssen, aber das Gesetz will es so, verstehen Sie? Richten Sie Ihrer Frau Mutter meine höflichsten Grüße aus und fragen Sie, ob ich sie wohl für einige Minuten sprechen dürfte.«
Das Mädchen rührte sich nicht. Sie presste eine Hand auf die Brust, wie um ihr plötzlich erregtes Herz zu beruhigen. Doch dann riss sie sich zusammen und sagte leise: »Ich werde sie sofort fragen. Bitte, treten Sie ein.«
Sie verschwand durch eine Tür auf der linken Seite der Diele, und wir hörten ihre leise Stimme.
Dann sagte eine andere Stimme mit ähnlichem Klang, aber etwas härterem Tonfall in der weichen Melodie: »Aber natürlich. Bitte sie herein.«
Und gleich darauf standen wir der mysteriösen Madame Daubreuil gegenüber.
Sie war viel kleiner als ihre Tochter, und die runden Kurven ihrer Figur hatten den Charme vollendeter Reife. Ihre Haare waren dunkel – wieder ein Unterschied zu ihrer Tochter – und wie bei einer Madonna in der Mitte gescheitelt. Ihre Augen, unter den schweren Lidern halb verborgen, waren blau. Sie war sehr gut erhalten, wenn auch nicht mehr jung, und ihre Attraktivität war von der Sorte, die mit dem Alter nichts zu tun hat.
»Sie möchten mich sprechen, Monsieur?«, fragte sie.
»Ja, Madame.« M. Hautet räusperte sich. »Ich untersuche den Mord an Monsieur Renauld. Sie haben sicher davon gehört?«
Sie senkte wortlos den Kopf. Ihre Miene änderte sich nicht.
»Wir wollten Sie fragen, ob Sie – äh – in irgendeiner Weise Licht in die Umstände seines Todes bringen können.«
»Ich?« Ihr überraschter Tonfall war wirklich überzeugend.
»Ja, Madame. Wir haben Grund zu der Annahme, dass Sie den Verstorbenen abends in seiner Villa besucht haben. Trifft das zu?«
Die bleichen Wangen der Dame röteten sich, doch sie erwiderte ruhig: »Sie haben kein Recht, mir eine solche Frage zu stellen.«
»Madame, es geht um einen Mord.«
»Na und? Ich habe mit diesem Mord nichts zu tun.«
»Madame, das haben wir auch gar nicht behauptet. Aber Sie haben den Ermordeten gut gekannt. Hat er Ihnen je von irgendeiner Gefahr erzählt, die ihn bedrohte?«
»Nein, nie.«
»Hat er jemals sein Leben in Santiago erwähnt oder Feinde, die er aus dieser Zeit noch hatte?«
»Nein.«
»Sie können uns also gar nicht weiterhelfen?«
»Ich fürchte, nein. Ich verstehe auch gar nicht, warum Sie hergekommen sind. Kann seine Frau Ihnen diese Auskünfte nicht geben?« Jetzt lag ein Hauch von Ironie in ihrer Stimme.
»Madame Renauld hat uns alles gesagt, was sie weiß.«
»Ach«, sagte Madame Daubreuil, »das wäre ja…«
»Das wäre ja was, Madame?«
»Ach, nichts.«
Der Untersuchungsrichter sah sie an. Er wusste, dass er hier ein Duell ausfocht, ein Duell mit einer gerissenen Gegnerin.
»Sie beharren also auf Ihrer Aussage, dass Monsieur Renauld Ihnen nichts anvertraut hat?«
»Warum meinen Sie, er hätte mir etwas anvertrauen mögen?«
»Weil, Madame«, sagte M. Hautet bewusst brutal, »weil ein Mann seiner Geliebten erzählt, was er seiner Frau bisweilen verheimlicht.«
»Ah!« Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Ihre Augen sprühten Feuer. »Monsieur, Sie beleidigen mich. Und das vor meiner Tochter. Ich kann Ihnen nichts sagen. Haben Sie die Güte, mein Haus zu verlassen.«
Die Dame hatte unleugbar den Sieg davongetragen. Wir verließen die Villa Marguerite wie eine Schar von geprügelten Hunden. Der Untersuchungsrichter schimpfte leise vor sich hin. Poirot schien in Gedanken versunken. Plötzlich fuhr er aus seiner Träumerei hoch und fragte M. Hautet, ob es in der Nähe ein gutes Hotel gebe.
»Auf dieser Seite gibt es ein kleines Lokal, das Hôtel des Bains. Vielleicht hundert Meter die Straße hinunter. Wie geschaffen für Ihre Ermittlungen. Wir sehen uns also morgen früh, nehme ich an?«
»Ja, danke, Monsieur Hautet.«
Nachdem wir noch einige Höflichkeiten ausgetauscht hatten, trennten wir uns; Poirot und ich gingen weiter in Richtung Merlinville, die anderen kehrten zur Villa Geneviève zurück.
»Das französische Polizeisystem ist wirklich großartig«, sagte Poirot und schaute ihnen nach. »Es ist umwerfend, was sie über das Leben der Leute wissen, bis hin zum simpelsten Detail. Er hat kaum mehr als sechs Wochen hier gelebt, aber sie
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