Mord auf dem Golfplatz
vielleicht hat er seinen Schlüssel verloren, oder er ist ihm gestohlen worden. Und dann ist da noch der Gärtner – der ist schon seit vielen Jahren hier. Eine der Zofen hat vielleicht einen Liebhaber. Es ist so einfach, einen Abdruck von einem Schlüssel zu machen und neue anfertigen zu lassen. Es gibt viele Möglichkeiten. Und dann ist da noch eine Person, bei der ich es für ausgesprochen wahrscheinlich halte, dass sie einen Schlüssel hat.«
»Und das wäre?«
»Madame Daubreuil«, antwortete der Detektiv.
»Ei, ei«, sagte der Untersuchungsrichter. »Das haben Sie also auch schon gehört?«
»Ich höre alles«, entgegnete Giraud ungerührt.
»Ich könnte schwören, dass Sie eins noch nicht gehört haben«, erwiderte M. Hautet, entzückt angesichts der Gelegenheit, sein überlegenes Wissen vorführen zu können. Und sogleich erzählte er die Geschichte von der geheimnisvollen Besucherin am letzten Abend. Er erwähnte auch den auf »Duveen« ausgestellten Scheck und reichte Giraud schließlich den mit »Bella« unterzeichneten Brief.
»Das alles ist hochinteressant. Aber meine Theorie wird davon nicht berührt.«
»Und wie sieht diese Theorie aus?«
»Das möchte ich im Moment noch für mich behalten. Vergessen Sie nicht, ich habe mit meinen Untersuchungen gerade erst angefangen.«
»Sagen Sie mir eins, Monsieur Giraud«, bat Poirot plötzlich. »Ihre Theorie lässt zu, dass die Tür offen war. Sie erklärt nicht, warum sie hinterher immer noch offen stand. Wäre es nicht ganz natürlich gewesen, wenn die Verbrecher sie geschlossen hätten? Wenn ein sergent de ville am Haus vorbeigekommen wäre, und manchmal gehen sie ja Streife, um sich davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist, dann wären sie ja vielleicht entdeckt und vom Fleck weg festgenommen worden?«
»Bah! Sie haben es vergessen. Ein Versehen, das garantiere ich Ihnen.«
Zu meiner Überraschung sagte Poirot nun dasselbe, was er Bex schon am Vorabend mitgeteilt hatte:
»Ich bin nicht Ihrer Meinung. Dass die Tür offen stand, war entweder so geplant, oder es musste einfach so sein, und eine Theorie, die diese Tatsache leugnet, muss sich als Fehlschlag erweisen.«
Wir alle betrachteten den kleinen Mann mit ziemlicher Verblüffung. Ich hatte angenommen, dass die Sache mit dem Streichholz für ihn eine Demütigung bedeutete, und nun war er selbstzufrieden wie eh und je und putzte Giraud herunter, ohne mit der Wimper zu zucken.
Der Detektiv zwirbelte seinen Schnurrbart und blickte meinen Freund herausfordernd an.
»Sie sind nicht meiner Meinung, ja? Na, und was fällt Ihnen an diesem Fall besonders auf? Lassen Sie uns Ihre Ansicht doch hören.«
»Eine Tatsache erscheint mir als ganz besonders bedeutend. Sagen Sie, Monsieur Giraud, kommt Ihnen an diesem Fall denn gar nichts bekannt vor? Erinnert er Sie an nichts?«
»Bekannt? Erinnern? Das kann ich so schnell nicht sagen. Aber ich glaube es eigentlich nicht.«
»Sie irren sich«, sagte Poirot ruhig. »Es ist schon einmal ein nahezu identisches Verbrechen begangen worden.«
»Wann denn? Und wo?«
»Ach, leider weiß ich das im Moment auch nicht, aber es wird mir wieder einfallen. Ich hatte gehofft, Sie würden mir helfen können.«
Giraud schnaubte ungläubig.
»Es hat schon viele Fälle gegeben, in denen Maskierte eine Rolle spielten. Ich kann mich nicht an alle Details erinnern. Diese Verbrechen ähneln einander doch alle.«
»Es gibt etwas, das man individuelle Züge nennen könnte.« Nun dozierte Poirot wieder und wandte sich an uns alle. »Ich spreche jetzt von der Psychologie des Verbrechens. Monsieur Giraud weiß sehr gut, dass jeder Verbrecher seine besondere Methode hat und dass die Polizei, wenn sie zum Beispiel wegen eines Einbruchs gerufen wird, oft erraten kann, wer ihn begangen hat, ganz einfach, weil der Einbrecher zu bestimmten Methoden gegriffen hat. (Japp würde Ihnen dasselbe erzählen, Hastings.) Der Mensch ist ein phantasieloses Tier. Phantasielos in seinem respektablen Alltagsleben, ebenso phantasielos, wenn er sich außerhalb des Gesetzes begibt. Wenn jemand ein Verbrechen begeht, dann werden seine späteren Verbrechen große Ähnlichkeit mit dem ersten aufweisen. Der englische Mörder, der sich seiner Frauen entledigte, indem er sie in der Badewanne ertränkte, war so ein Fall. Hätte er seine Methoden variiert, wäre er vielleicht bis heute unentdeckt geblieben. Aber er gehorchte dem Diktat der menschlichen Natur, glaubte, dass das, was einmal gelungen war,
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