Mord auf dem Golfplatz
verleihen. Da ich ihm als ziemlich obskurer, angejahrter Detektiv beschrieben worden war, bat er mich um Hilfe. Er wusste schließlich, dass sein Brief beim Untersuchungsrichter seine Wirkung tun würde – was ja auch der Fall war.
Sie zogen dem Toten einen von Renaulds Anzügen an und ließen seine Lumpen neben der Schuppentür liegen, da sie es nicht wagten, sie mit ins Haus zu nehmen. Um der Geschichte, die Madame Renauld erzählen sollte, zu Glaubwürdigkeit zu verhelfen, stießen sie ihm das Flugzeugmesser ins Herz. In der folgenden Nacht soll Renauld erst seine Frau fesseln und knebeln und dann mit einem Spaten an der Stelle, wo dieser – wie heißt das noch? – Bunker gebaut werden soll, ein Grab ausheben. Es muss ein Leichnam gefunden werden, denn Madame Daubreuil darf keinen Verdacht schöpfen. Andererseits wird sich, wenn ein wenig Zeit verstreicht, die Gefahr verringern, dass die mangelnde Ähnlichkeit des Toten mit Monsieur Renauld auffällt. Renauld soll die Lumpen des Landstreichers anziehen, zum Bahnhof gehen und unbemerkt mit dem Zug um siebzehn nach zwölf abreisen. Da alle annehmen werden, dass das Verbrechen zwei Stunden später geschehen ist, wird niemand ihn verdächtigen.
Jetzt verstehen Sie, warum er sich über den ungelegenen Besuch der jungen Bella so ärgert. Noch die kleinste Verzögerung kann seinen ganzen Plan gefährden. Er wird sie jedoch bald wieder los. Und dann geht’s ans Werk. Er öffnet die Haustür ein wenig, um den Eindruck zu erwecken, die Mörder hätten das Haus auf diesem Weg verlassen. Er fesselt und knebelt Madame Renauld und begeht nicht denselben Fehler wie vor zweiundzwanzig Jahren, als die lockeren Fesseln seine Komplizin verdächtig machten. Aber er spricht mit ihr ungefähr die gleiche Geschichte ab, die er sich damals ausgedacht hatte, womit er beweist, dass unser Unterbewusstsein vor zu viel Phantasie zurückschreckt. Es ist eine kühle Nacht, er zieht einen Mantel über seine Unterwäsche und will ihn zu dem Toten ins Grab legen. Er steigt zum Fenster hinaus, glättet sorgfältig den Boden im Blumenbeet – und schafft damit ein Indiz, das ganz und gar gegen ihn spricht. Er geht auf den einsam gelegenen Golfplatz und fängt an zu graben – und dann…«
»Ja?«
»Und dann«, sagte Poirot ernst, »ereilt ihn die Gerechtigkeit, der er sich so lange entzogen hat. Eine unbekannte Hand jagt ihm das Messer in den Rücken… Jetzt, Hastings, verstehen Sie, warum ich von zwei Verbrechen spreche. Das erste Verbrechen, das zu untersuchen Monsieur Renauld uns in seiner Arroganz gebeten hatte, ist geklärt. Aber dahinter liegt noch ein tieferes Rätsel. Und es wird nicht leicht sein, das zu lösen – denn der Verbrecher hat sich in seiner Weisheit der von Renauld selber bereitgelegten Werkzeuge bedient. Es war ein besonders schwer zu ergründendes und verblüffendes Rätsel, das hier gelöst werden musste.«
»Sie sind großartig, Poirot«, sagte ich voller Bewunderung. »Einfach großartig. Niemand außer Ihnen hätte das geschafft.«
Ich glaube, dieses Lob gefiel ihm. Dieses eine Mal wirkte er beinahe verlegen.
»Der arme Giraud«, sagte er und versuchte erfolglos, bescheiden auszusehen. »Zweifellos ist es nicht die reine Dummheit. Ein- oder zweimal war la mauvaise chance im Spiel. Das dunkle Haar, das um den Messergriff gewickelt war, zum Beispiel. Das war gelinde gesagt irreführend.«
»Um ganz ehrlich zu sein, Poirot«, sagte ich langsam, »ich verstehe das noch immer nicht so recht – von wem stammt dieses Haar denn nun?«
»Von Madame Renauld natürlich. Und hier setzte la mauvaise chance ein. Ihre Haare, die früher dunkel waren, sind jetzt fast vollständig ergraut. Es hätte also auch ein graues Haar sein können – und dann hätte Giraud sich beim besten Willen nicht einreden können, es stamme von Jack Renaulds Kopf. Aber das ist wieder typisch. Immer muss er die Tatsachen verdrehen, damit sie zu seiner Theorie passen! Zweifellos wird Madame Renauld sprechen, wenn sie sich wieder erholt hat. Sie ist einfach nicht auf die Idee gekommen, ihr Sohn könnte dieses Mordes angeklagt werden. Wie sollte sie auch, solange sie ihn an Bord der Anzora in Sicherheit wähnte? Ah! Voilà une femme, Hastings! Welche Kraft, welche Selbstdisziplin! Sie hat nur einen Fehler begangen. Bei seiner unerwarteten Rückkehr: ›Es spielt keine Rolle – mehr.‹ Und niemandem ist es aufgefallen, niemand hat die Bedeutung dieser Worte erfasst. Was hatte die arme Frau für
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