Mord auf dem Golfplatz
sah ich ihn kurz an. Ob er meine Erregung bemerkt hatte? Doch zu meiner Erleichterung schien er nicht auf mich geachtet zu haben. Mein ungewöhnliches Benehmen war ihm offenbar entgangen.
Er sprang auf.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir müssen in aller Eile aufbrechen. Aber immerhin – die See ist ruhig.«
In der Hektik des Aufbruchs konnte ich nicht mehr nachdenken, aber als ich dann auf der Fähre war und von Poirot nicht gesehen werden konnte, nahm ich mich zusammen und ging leidenschaftslos die Tatsachen durch. Wie viel wusste Poirot, und warum wollte er diese Frau finden? Nahm er an, dass sie gesehen hatte, wie Jack Renauld den Mord beging? Oder verdächtigte er sie – aber das war doch unmöglich. Sie hatte keinerlei Grund gehabt, Renauld senior nach dem Leben zu trachten. Was hatte sie überhaupt an den Tatort geführt? Ich dachte genau über alles nach. Sie hatte sich nach unserer Trennung in Calais offenbar nicht auf die Fähre begeben. Kein Wunder, dass ich sie dort vergeblich gesucht hatte. Wenn sie in Calais zu Abend gegessen und dann den Zug nach Merlinville genommen hatte, konnte sie ungefähr zu dem von Françoise genannten Zeitpunkt in der Villa Geneviève eingetroffen sein. Doch was hatte sie unternommen, nachdem sie das Haus kurz nach zehn verlassen hatte? Vermutlich hatte sie entweder ein Hotel aufgesucht oder war nach Calais zurückgefahren. Und dann? Das Verbrechen war Dienstagnacht begangen worden. Am Donnerstagmorgen war sie wieder in Merlinville aufgetaucht. Vielleicht hatte sie Frankreich ja überhaupt nicht verlassen? Ich glaubte das eigentlich nicht. Was hatte sie dort gehalten – die Hoffnung auf eine Begegnung mit Jack Renauld? Ich hatte ihr gesagt (wie wir zu diesem Zeitpunkt annahmen), dass er sich auf hoher See befinde, auf dem Weg nach Buenos Aires. Vielleicht hatte sie gewusst, dass die Anzora nicht ausgelaufen war. Aber wenn sie das gewusst hatte, dann hatte sie Jack gesehen. Was hatte Poirot bloß vor? War Jack Renauld, der Marthe Daubreuil besuchen wollte, stattdessen auf Bella Duveen gestoßen, die Frau, die er so herzlos verlassen hatte?
Ich sah langsam Licht am Ende des Tunnels. Wenn das der Fall war, dann konnte sie Jack vielleicht das Alibi liefern, das er brauchte. Aber unter diesen Umständen war sein Schweigen kaum zu erklären. Warum hatte er nicht offen gesprochen? Fürchtete er, diese frühere Liebschaft könne Marthe Daubreuil zu Ohren kommen? Ich schüttelte unzufrieden den Kopf. Es war doch eine harmlose Geschichte gewesen, ein törichter Jugendflirt, und ganz zynisch überlegte ich mir, dass der Sohn eines Millionärs von einer bettelarmen Französin, die ihn dazu noch innig liebte, wohl kaum einen Korb erhalten würde, solange kein triftigerer Grund vorlag.
Poirot tauchte in Dover wieder auf, tatendurstig und lächelnd, und unsere Weiterreise nach London verlief ereignislos. Es war schon nach neun, als wir dort eintrafen, und ich ging davon aus, dass wir uns sofort in unsere Wohnung begeben und erst am nächsten Morgen aktiv werden würden.
Doch Poirot hatte andere Pläne.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren, mon ami. Die englischen Zeitungen werden erst übermorgen von der Verhaftung berichten, aber wir sollten die Zeit trotzdem nutzen.«
Ich konnte ihm nicht ganz folgen, fragte aber nur, wie wir die Gesuchte denn finden sollten.
»Sie erinnern sich doch an Joseph Aarons, den Theateragenten? Nicht? Ich habe ihm bei der kleinen Episode mit dem japanischen Ringer helfen können. Ein nettes kleines Problem, ich muss Ihnen das eines Tages einmal erzählen. Zweifellos wird er uns sagen können, wo wir finden, was wir suchen.«
Wir brauchten einige Zeit, um Mr Aarons aufzuspüren, erst nach Mitternacht wollte uns das endlich gelingen. Er begrüßte Poirot voller Wärme und erklärte sich bereit, uns in jeder gewünschten Weise behilflich zu sein.
»Es gibt in unserer Branche nicht viel, was ich nicht weiß«, sagte er mit freundlichem Lächeln.
»Eh bien, Monsieur Aarons, ich suche ein junges Mädchen namens Bella Duveen.«
»Bella Duveen. Diesen Namen kenne ich, aber auf Anhieb kann ich ihn nicht unterbringen. Was macht sie genau?«
»Das weiß ich nicht – aber so sieht sie aus.«
Mr Aarons betrachtete das Foto, dann erhellte sich seine Miene.
»Ich hab’s!« Er schlug sich auf den Oberschenkel. »Die Dulcibella Kids, beim Zeus!«
»Die Dulcibella Kids?«
»Genau. Schwestern. Akrobatinnen, Tänzerinnen und Sängerinnen. Bringen eine
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