Mord auf dem Golfplatz
eine entsetzliche Rolle zu spielen! Stellen Sie sich ihren Schock vor, als sie den Toten identifizieren soll und statt des erwarteten Landstreichers die leblose Gestalt ihres Mannes vorfindet, den sie schon in der Ferne glaubt. Kein Wunder, dass sie in Ohnmacht gefallen ist. Aber wie entschieden hat sie seither, Verzweiflung und Trauer zum Trotz, ihre Rolle gespielt, und welche Seelenqual muss ihr das bereitet haben! Sie darf uns nichts sagen, was uns auf die Spur der wahren Mörder lenken könnte. Um ihres Sohnes willen darf niemand erfahren, dass Paul Renauld der Verbrecher Georges Conneau war. Und der letzte und bitterste Schlag war, dass sie Madame Daubreuil vor Zeugen als Geliebte ihres Mannes bezeichnen musste – denn die Sache mit der Erpressung konnte für ihr Geheimnis den Tod bedeuten. Wie geschickt sie mit dem leitenden Ermittler umgegangen ist, als er wissen wollte, ob es in der Vergangenheit ihres Mannes ein Geheimnis gegeben habe. ›Nichts so Romantisches, da bin ich mir sicher, Monsieur.‹ Es war perfekt, dieser herablassende Tonfall, dieser Hauch von traurigem Spott. Monsieur Hautet kam sich töricht und melodramatisch zugleich vor. Ja, sie ist eine großartige Frau. Wenn sie einen Verbrecher geliebt hat, dann mit der Liebe einer Königin!«
Poirot versank in seinen Grübeleien.
»Noch eins, Poirot, was ist mit dem Stück Bleirohr?«
»Sehen Sie das nicht? Es sollte das Gesicht des Opfers bis zur Unkenntlichkeit entstellen. Und das hat mich überhaupt erst auf die richtige Spur gebracht. Während dieser Trottel von Giraud alles nach Streichholzresten abgesucht hat! Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass ein zwei Fuß langes Indiz ebenso nützlich ist wie eins, das zwei Zoll misst? Aber Sie sehen, Hastings, wir müssen noch einmal anfangen. Wer hat Monsieur Renauld ermordet? Jemand, der kurz vor Mitternacht in der Nähe der Villa war, jemand, der von seinem Tod profitieren würde – diese Beschreibung passt nur zu gut auf Jack Renauld. Das Verbrechen braucht nicht einmal geplant gewesen zu sein. Und dann das Messer!«
Ich fuhr hoch, auf diesen Punkt hatte ich noch gar nicht geachtet.
»Natürlich«, sagte ich. »Madame Renaulds Messer, das im Herzen des Landstreichers steckte. Es gab also zwei Messer?«
»O ja, und da beide haargenau gleich sind, können wir davon ausgehen, dass das zweite Jack Renauld gehört. Aber darüber würde ich mir nicht so sehr den Kopf zerbrechen. Ich habe mir dazu schon meine Gedanken gemacht. Nein, vor allem spricht die Psyche gegen ihn – Erblichkeit, mon ami, Erblichkeit. Wie der Vater, so der Sohn, und Jack Renauld ist und bleibt der Sohn von Georges Conneau.«
Er hörte sich so ernst und bedeutungsvoll an, dass ich wider Willen beeindruckt war.
»Und was für Gedanken haben Sie sich dazu gemacht?«, fragte ich.
Statt zu antworten, konsultierte Poirot seine Zwiebel von Uhr und fragte dann: »Wann geht die Nachmittagsfahre von Calais?«
»Gegen fünf, glaube ich.«
»Das ist sehr gut. Wir haben gerade noch genug Zeit.«
»Sie fahren nach England?«
»Ja, mein Freund.«
»Warum?«
»Um eine mögliche Zeugin zu suchen.«
»Wen?«
Mit einem recht seltsamen Lächeln antwortete Poirot: »Miss Bella Duveen.«
»Aber wie wollen Sie sie finden – was wissen Sie überhaupt über sie?«
»Ich weiß nichts über sie – aber ich kann mir allerlei denken. Wir können davon ausgehen, dass sie tatsächlich Bella Duveen heißt, und da dieser Name Monsieur Stonor vage bekannt vorkam, wenn auch offensichtlich nicht in Verbindung mit der Familie Renauld, liegt es nahe, dass sie beim Varieté oder beim Theater ist. Jack Renauld als junger Mann mit viel Geld hat seine erste Liebe sicher dort gefunden. Außerdem passt das zu Monsieur Renaulds Versuch, sie mit einem Scheck abzuspeisen. Ich glaube, ich werde sie finden – vor allem mit diesem Hilfsmittel.«
Und er zog das Foto hervor, das er in Jack Renaulds Kommodenschublade gefunden hatte. »In Liebe von Bella« war in eine Ecke gekritzelt, aber nicht diese Widmung zog meinen Blick magisch an. Es war keine überwältigende Ähnlichkeit, aber mir genügte sie allemal. Ich fühlte mich beklommen, als sei eine unbeschreibliche Katastrophe über mich hereingebrochen.
Es war das Gesicht Cinderellas!
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Ich finde Liebe
F ür einen Moment saß ich wie erstarrt da, das Foto immer noch in der Hand. Dann riss ich mich zusammen, bemühte mich um eine unbewegte Miene und reichte das Bild Poirot. Dabei
Weitere Kostenlose Bücher