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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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in einen Atlassessel am Fenster und faltete erwartungsvoll die Finger etwas unterhalb der silbernen Uhrkette.
    »Unmöglich!« schrie Renate und griff unwillkürlich mit beiden Händen nach ihrem Bauch.
    Leutnant Regnier sprang auf.
    Der rothaarige Baronet lachte schallend und applaudierte demonstrativ.
    Professor Sweetchild schluckte krampfhaft und nahm die Brille ab.
    Clarissa Stomp erstarrte, die Finger auf der Achatbrosche ihres Krägelchens.
    Im Gesicht des Japaners zuckte kein Muskel, aber das höfliche Lächeln gerann.
    Der Doktor faßte seine Ehehälfte am Ellbogen und vergaß, ihr das Wichtigste zu übersetzen, aber Mrs. Truffo hatte, nach ihren hervorquellenden Augen zu urteilen, von selber begriffen.
    Der Diplomat fragte halblaut: »Beweise?«
    »Meine Anwesenheit«, antwortete der Kommissar ungerührt. »Das genügt. Es gibt auch andere Erwägungen, aber das brauchen Sie nicht zu wissen … Nun ja.« Die Stimme des Polizisten klang enttäuscht. »Ich sehe, niemand fällt in Ohnmacht, niemand ruft: ›Verhaften Sie mich, ich bin der Mörder!‹ Damit habe ich natürlich auch nicht gerechnet. Also dann.« Er hob drohend den kurzen Zeigefinger. »Sie dürfen mit keinem der anderen Passagiere darüber sprechen. Das läge auch gar nicht in Ihrem Interesse – das Gerücht würde sich im Nu verbreiten, und man würde Sie ansehen, als hätten Sie die Pest. Versuchen Sie nicht, in einen anderen Salon zu wechseln, das würde nur meinen Verdacht verstärken. Es würde auch nicht klappen, denn ich habe eine Absprache mit dem Kapitän.«
    Renate lispelte mit zitternder Stimme: »Lieber Monsieur Coche, können Sie nicht wenigstens mich von diesem Alpdruck befreien? Ich habe Angst, mit einem Mörder an einem Tisch zu sitzen. Womöglich tut er mir Gift in den Tee? Ich kriege ja keinen Bissen mehr herunter. Außerdem darf ich mich nicht aufregen. Ich werde mit niemandem darüber sprechen, mein Ehrenwort!«
    »Tut mir leid, Madame Kleber«, antwortete der Kommissar mürrisch, »aber ich kann keine Ausnahme machen. Ich habe gute Gründe, jeden der Anwesenden zu verdächtigen, und nicht zuletzt Sie.«
    Renate sank mit schwachem Stöhnen gegen die Stuhllehne. Leutnant Regnier stampfte verärgert mit dem Fuß auf.
    »Was erlauben Sie sich, Herr Kommissar! Ich werde das sofort Kapitän Cliff melden!«
    »Tun Sie das«, sagte Coche gleichmütig. »Aber nicht sofort, erst etwas später. Ich bin mit meiner kleinen Rede noch nicht fertig. Also, noch weiß ich nicht, wer von Ihnen mein Kunde ist, obwohl ich dem Ziel schon sehr nahe bin.«
    Renate hatte erwartet, diesen Worten werde ein vielsagender Blick folgen, und saß vorgebeugt, doch nein, der Kommissar guckte nur auf seine dämliche Pfeife. Wahrscheinlich hatte er geflunkert und war einstweilen niemandem auf der Spur.
    »Sie verdächtigen eine Frau, das spürt man doch!« rief Miss Stomp nervös. »Weshalb sonst tragen Sie die Notiz über eine Marie Sansfond bei sich? Wer ist diese Marie Sansfond? Doch wer auch immer! Was für eine Dummheit, eine Frau zu verdächtigen! Ist eine Frau zu solcher Bestialität fähig?«
    Mrs. Truffo stand hektisch auf, sichtlich bereit, unter das Banner der weiblichen Solidarität zu treten.
    »Über Mademoiselle Sansfond reden wir ein anderes Mal«, antwortete der Kommissar und maß Clarissa Stomp mit einem rätselhaften Blick. »Solche Notizen habe ich en masse bei mir, und jede enthält eine eigene Version.« Er schlug seine Mappe auf und raschelte mit Zeitungsausschnitten. Es waren in der Tat mehr als ein Dutzend. »Und nun Schluß, meine Damen und Herren, ich bitte, mich nicht mehr zu unterbrechen!« Seine Stimme klang eisern. »Ja, unter uns ist ein gefährlicher Verbrecher. Möglicherweise ein Psychopath.« (Renate sah Professor Sweetchild mit seinem Stuhl sacht von Milford-Stokes wegrücken.) »Darum bitte ich Sie alle, Vorsicht walten zu lassen. Wenn Sie etwas Ungewöhnliches wahrnehmen, selbst eine Kleinigkeit – gleich zu mir. Am besten wäre natürlich, wenn der Mörder aufrichtig bereute, er kann ja sowieso nicht weg. Das wäre alles.«
    Mrs. Truffo hob wie ein Schulkind die Hand.
    »In fact, I have seen something extraordinary only yesterday! A charcoal-black face, definitely inhuman, looked at me from the outside while I was in our cabine! I was so scared!« Sie drehte sich zu ihrem Ehegespons um und stieß ihn mit dem Ellbogen an. »I told you, but you paid no attention.« 3
    »Ach«, sagte Renate auffahrend, »mir ist gestern aus

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