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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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erstrahlte in einem freundlichen Lächeln. Mr. Fandorin lüpfte ehrerbietig den Korkhelm und rauschte vorüber, ohne anzuhalten.
    Clarissa seufzte. Die Idee mit dem Spaziergang war doch nicht so gut – sie war durchgeschwitzt und mußte in die Kabine zurückkehren und sich umziehen.
    Das Frühstück vermieste ihr die quengelige Madame Kleber. Erstaunlich deren Fähigkeit, aus ihrer Schwäche ein Ausbeutungswerkzeug zu machen! Gerade als der Kaffee in Clarissas Tasse bis zur erwünschten Temperatur abgekühlt war, klagte die unleidliche Schweizerin, ihr sei zu heiß, und bat, ihr das Mieder zu lockern. Clarissa tat gewöhnlich so, als ob sie das Geningel der Kleber nicht hörte, und es fand sich auch stets ein Freiwilliger, doch für solch eine delikate Sache taugten Männer nicht, und Mrs. Truffo war ausgerechnet nicht da, sie half ihrem Mann, eine erkrankte Dame zu behandeln. Die langweilige Person war wohl früher Krankenschwester gewesen. Was für ein sozialer Aufstieg: Jetzt war sie Chefarztgattin, speiste in der ersten Klasse und gerierte sich als echte britische Lady, nur daß sie zu dick auftrug.
    Clarissa mußte sich also mit den Schnürbändern der Madame Kleber abplagen, und derweil kühlte ihr Kaffee hoffnungslos ab. Das war natürlich eine Lappalie, aber eines kam zum anderen.
    Nach dem Frühstück ging sie spazieren, drehte zehn Runden und ermüdete. Sie benutzte die Gelegenheit, daß kein Mensch in der Nähe war, und lugte vorsichtig ins Fenster der Kabine 18. Mr. Fandorin saß am Sekretär, angetan mit einem weißen Hemd, darüber rot-blau-weiße Hosenträger, eine Zigarre im Mundwinkel, und hämmerte mit den Fingern entsetzlich laut auf einen fremdartigen Apparat ein – schwarz, aus Eisen, mit einer Walze und zahlreichen Knöpfen. Clarissa war gefesselt und verlor die Wachsamkeit, und so wurde sie am Tatort ertappt. Der Diplomat sprang auf, verbeugte sich, warf das Jackett über und trat zum offenen Fenster.
    »Das ist eine Sch-schreibmaschine, eine Remington«, erklärte er. »Das neueste Modell, eben erst in den Handel gekommen. Sehr gut zu handhaben, Miss Stomp, und ganz leicht. Zwei Lastträger können sie mühelos tragen. Unentbehrlich auf R-reisen. Ich übe mich eben im Schnellschreiben, indem ich etwas aus Hobbes exzerpiere.«
    Clarissa, puterrot vor Verlegenheit, nickte flüchtig und ging.
    Sie setzte sich in den Schatten einer gestreiften Markise. Eine Brise wehte. Clarissa schlug »Die Kartause von Parma« auf und las von der unerwiderten Liebe der schönen, doch alternden Herzogin Sanseverina zu dem jungen Fabrice del Dongo. Die Lektüre stimmte sie sentimental, und sie wischte mit dem Tüchlein eine Träne weg – und ausgerechnet da erschien an Deck Mr. Fandorin: weißer Anzug, breitkrempiger Panamahut, Rohrstock. Er sah außerordentlich gut aus.
    Clarissa rief ihn an. Er trat näher, verbeugte sich und nahm neben ihr Platz. Nach einem Blick auf den Buchumschlag sagte er: »Ich w-wette, die Beschreibung der Schlacht bei Waterloo haben Sie ausgelassen. Schade, sie ist die beste Stelle bei Stendhal überhaupt. Eine exaktere Beschreibung des Krieges habe ich noch nirgendwo gelesen.«
    Seltsam, Clarissa las »Die Kartause von Parma« zum zweitenmal und hatte tatsächlich die Schlachtszene beide Male überblättert.
    »Woher wissen Sie das?« fragte sie neugierig. »Sind Sie Hellseher?«
    »Frauen lassen Sch-schlachtszenen immer aus.« Fandorin zuckte die Achseln. »Jedenfalls Frauen Ihrer Art.«
    »Was habe ich denn für eine Art?« fragte Clarissa einschmeichelnd und spürte dabei, daß sie zur Koketterie wenig taugte.
    »Eine skeptische Einstellung zu sich selbst, eine romantische zur Umwelt.« Er sah sie mit leicht geneigtem Kopf an. »Außerdem läßt sich über Sie sagen, daß es in Ihrem Leben kürzlich eine jähe W-wendung zum Besseren gegeben hat und daß Sie eine Erschütterung überstanden haben.«
    Clarissa zuckte zusammen und warf einen verstörten Blick auf ihren Gesprächspartner.
    »Erschrecken Sie nicht«, sagte der erstaunliche Diplomat beruhigend. »Ich weiß rein g-gar nichts über Sie. Ich habe lediglich mit Hilfe spezieller Übungen meine Beobachtungsgabe und meine analytischen Fähigkeiten trainiert. Im allgemeinen genügt mir ein unbedeutendes Detail, um das ganze B-bild erstehen zu lassen. Zeigen Sie mir solch ein Scheibchen mit zwei Löchern« (er deutete taktvoll auf einen großen rosa Knopf, der ihre Jacke schmückte), »und ich sage Ihnen, wer es verloren

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