Mord auf der Leviathan
derbe, monotone Lehmoberfläche das prachtvolle Licht- und Farbenspiel der Edelsteine bedeutend besser hervorhebt als Gold oder Elfenbein. Davon konnte ich mich überzeugen. Bagdassar legte langsam die mit Ringen übersäte Hand auf den Deckel der Schatulle, hob ihn mit einer schnellen Bewegung, und … Ich war geblendet, meine Herrschaften!« Die Stimme des Professors zitterte. »Das … Das läßt sich nicht mit Worten beschreiben! Ein geheimnisvoller, funkelnder, vielfarbiger Glanz brach aus dem dunklen Kubus und warf bunte Blinklichter auf die düsteren Gewölbe des Kellers. Die runden Steine lagen in acht Schichten, deren jede aus vierundsechzig geschliffenen Quellen des unglaublichen Strahlens bestand. Der Effekt wurde zweifellos verstärkt durch die flackernde Flamme der einzigen Fackel. Noch immer sehe ich vor mir das Gesicht von Radscha Bagdassar, angestrahlt von dem Zauberlicht …«
Der Gelehrte schloß wieder die Augen und verstummte.
»Wieviel sind denn diese bunten Steinchen wert?« fragte der Kommissar mit knarrender Stimme.
»Ja, wirklich, wieviel wohl?« griff Madame Kleber die Frage auf. »Sagen wir, in englischen Pfund.«
Clarissa hörte Mrs. Truffo vernehmlich ihrem Mann zuflüstern: »She’s so vulgar!«
»Wissen Sie«, sagte Sweetchild mit gutmütigem Lächeln, »die Frage habe ich mir auch gestellt. Sie zu beantworten ist nicht einfach, denn der Preis von Edelsteinen schwankt je nach den Marktbedingungen, und der heutige Stand …«
»Ja, ja, der heutige, nicht der des Herrschers Sandragupta«, knurrte Coche.
»Hm … Ich weiß nicht genau, wieviel Brillanten, wieviel Saphire und wieviel Rubine der Radscha besaß. Aber mir ist bekannt, daß er am meisten Smaragde schätzte, was ihm auch seinen Beinamen eintrug. In den Jahren seiner Regierung wurden sieben brasilianische und vier Uralsmaragde erworben: für jeden gab Bagdassar einen Brillanten her und zahlte noch drauf. Schauen Sie, jeder seiner Vorfahren hatte seinen Lieblingsstein, den er allen anderen vorzog und vor allen anderen zu erwerben trachtete. Die magische Zahl 512 wurde schon unter Bagdassars Großvater erreicht, und seitdem war es nicht das Ziel des Herrschers, die Zahl der Steine zu vermehren, sondern die Qualität zu verbessern. Steine, die nicht ganz vollkommen waren oder aus anderen Gründen nicht das Wohlwollen des regierenden Fürsten fanden, wurden verkauft – daher der Ruhm des ›Brahmapurer Standards‹, der sich nach und nach in der Welt verbreitet hat. Dafür kamen dann andere, wertvollere Steine in die Schatulle. Diese Besessenheit brachte Bagdassars Vorfahren um den Verstand. Einer von ihnen kaufte dem persischen Schah Abbas dem Großen einen gelben Saphir von hundertfünfzig Karat ab und bezahlte für dieses Wunderding zehn Karawanen Elfenbein, aber der Stein war größer als vorgeschrieben, darum haben die Juweliere des Radschas alles Überflüssige abgeschnitten.«
»Das ist natürlich furchtbar«, sagte der Kommissar, »kehren wir dennoch zu dem Preis zurück.«
Aber diesmal ließ sich der Indologe nicht so einfach in die gewünschte Richtung drängen.
»So warten Sie doch!« wehrte er den Kommissar unhöflich ab. »Geht es denn um den Preis? Wenn von einem Edelstein dieser Größe und Qualität die Rede ist, denkt man nicht an Geld, sondern an die Zauberkräfte, die ihm seit alters zugeschrieben werden. Der Diamant etwa gilt als Symbol der Reinheit. Unsere Vorfahren prüften die Treue ihrer Frauen so: Sie legten der schlafenden Gattin einen Diamanten unters Kissen. War sie treu, so wandte sie sich sogleich, ohne aufzuwachen, ihrem Manne zu und umarmte ihn. Betrog sie ihn aber, so wälzte sie sich hin und her, bis der Stein zu Boden fiel. Außerdem galt der Diamant als Garant der Unbesiegbarkeit. Die alten Araber glaubten, in einer Schlacht werde derjenige Feldherr siegen, der den größeren Diamanten besitze.«
»Die alten Alabel illten sich«, fiel plötzlich Gintaro Aono dem eifrigen Redner ins Wort.
Alle blickten verblüfft den Japaner an, der sich sehr selten an der allgemeinen Unterhaltung beteiligte und noch nie jemanden unterbrochen hatte. Der Asiat aber fuhr hastig mit seinem lustigen Akzent fort: »In del Akademie von Saint-Cyr haben sie uns beigeblacht, daß del bulgundische Helzog Kall del Kühne in die Schlacht gegen die Eidgenossen den liesigen Diamanten ›Flolentinel‹ mitnahm, was ihn jedoch nicht vol del Niedellage bewahlte.«
Der Ärmste tat Clarissa leid, er hatte mit seinen
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