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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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immer Sieger in kleinen Gefechten, während die gelbe Rasse unerschütterliche Ruhe bewahrt, da sie zuverlässig weiß, daß all das kleinliche Geschäftigkeit ist, die keine Aufmerksamkeit verdient. Im Wesentlichen, einzig Existenziellen wird der Sieg jedenfalls unser sein.
    Unser Kaiser hat sich zu einem großen Experiment entschlossen: die Weisheit des Ostens mit dem Verstand des Westens zusammenzubringen. Wir Japaner eignen uns demütig die europäische Wissenschaft der täglichen Errungenschaften an, verlieren aber dabei nicht das Endziel der menschlichen Existenz aus dem Auge – den Tod und die darauf folgende höhere
Form des Daseins. Die Rothaarigen sind zu individualistisch, ihr kostbares »Ich« verschließt ihnen die Augen, verzerrt das Bild der sie umgebenden Welt und erlaubt ihnen nicht, ein Problem aus verschiedenen Gesichtswinkeln zu betrachten. Die Seele des Europäers ist mit eisernen Nägeln an seinem Körper befestigt, und es ist ihr nicht gegeben, sich emporzuschwingen.
    Wenn Fandorin-san zur Erleuchtung befähigt ist, so verdankt er das dem halbasiatischen Wesen seiner Heimat. Rußland ähnelt in vielem Japan: Osten mit einem Hang zum Westen. Nur vergessen die Russen, im Unterschied zu uns, den Leitstern, auf den das Schiff Kurs hält, und drehen den Hals gar zu sehr nach rechts und links. Sein »Ich« herauskehren oder es in dem mächtigen »Wir« auflösen – darin besteht der Gegensatz zwischen Europa und Asien. Ich glaube, Rußland hat eine gute Chance, vom ersten auf den zweiten Weg umzuschwenken.
    Aber ich bin übermäßig ins Philosophieren geraten. Es wird Zeit, daß ich auf Fandorin-san und die Klarheit seines Verstandes komme. Ich beschreibe das Geschehen der Reihe nach.
    Es war noch dunkel, als die »Leviathan« in Aden einlief. Über diesen Hafen steht in meinem Reiseführer:
»Der Hafen von Aden, ein Gibraltar des Orients, dient England als Verbindungsglied zu Ost-Indien. Hier bunkern die Schiffe Kohle und ergänzen ihre Trinkwasservorräte. Die Bedeutung Adens ist seit der Eröffnung des Suezkanals unwahrscheinlich gestiegen. Die Stadt selbst ist nicht groß. Es gibt ausgedehnte Hafenspeicher, Werften, ein paar Faktoreien, Kontore, Gasthäuser. Die Stadt ist symmetrisch gebaut. Die Trockenheit des Bodens wird durch 30 uralte Zisternen ausgeglichen, in denen sich das Regenwasser aus den Bergen sammelt. Aden hat 34   000 Einwohner, vornehmlich indische Muselmanen.«
Einstweilen muß ich mich mit dieser knappen Beschreibung zufriedengeben, denn die Schiffstreppe wird nicht
heruntergelassen, und niemand darf an Land. Als Grund wird eine Sanitäts- und Quarantäne-Inspektion angegeben, aber wir Vasallen des Fürstentums Hannover kennen den wahren Sinn des Durcheinanders: Matrosen und Küstenpolizei durchkämmen das ganze gewaltige Schiff nach Negern.
    Nach dem Frühstück blieben wir noch im Salon und warteten auf die Resultate der Durchsuchung. Hier kam es zwischen dem Polizeikommissar und dem russischen Diplomaten zu einem wichtigen Gespräch, dem alle Unsrigen beiwohnten (jetzt sind sie für mich schon die »Unsrigen«).
    Es wurde zunächst über den Tod des Negers gesprochen, dann kam die Unterhaltung wie gewöhnlich auf die Pariser Morde. Ich beteiligte mich nicht daran, hörte aber sehr aufmerksam zu, obwohl es anfangs wieder so aussah, als wolle man einen grünen Affen im Bambusdickicht und eine schwarze Katze im dunklen Zimmer fangen.
    Stomp-san sagte: »Also, Rätsel über Rätsel. Unbegreiflich, wie der Schwarze an Bord gekommen ist, unbegreiflich, warum er Madame Kleber ermorden wollte. Genau wie in der Rue de Grenelle. Die reinste Mystik.«
    Da sagte Fandorin-san plötzlich: »Da gibt es keine Mystik. Mit dem Neger ist in der Tat noch manches unklar, aber was den Vorfall in der Rue de Grenelle betrifft, so ist das Bild, wie ich finde, mehr oder weniger klar.«
    Alle starrten ihn verdattert an, und der Kommissar lächelte giftig. »Wirklich? Na, dann lassen Sie mal hören.«
    Fandorin-san: »Ich denke, es war so. Am Abend kam jemand zur Villa in der Rue de Grenelle …«
    Der Kommissar (mit gespielter Begeisterung): »Bravo! Eine geniale Idee!«
    Einige lachten, doch die meisten hörten aufmerksam zu, denn der Diplomat ist keiner, der sinnlos die Luft bewegt.
    Fandorin-san (unerschütterlich): »… jemand, dessen Erscheinen bei der Dienerschaft keinerlei Verdacht aufkommen ließ. Es war ein Arzt, möglicherweise im weißen Kittel und gewiß mit einer Arzttasche. Der

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