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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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unerwartete Gast sagte, alle im Hause Anwesenden müßten sich unverzüglich in einem Raum versammeln, denn auf Anordnung der Municipalité hätten sich alle Pariser einer prophylaktischen Impfung zu unterziehen.«
    Der Kommissar (mit beginnender Verärgerung): »Was sind das für Phantastereien? Eine Impfung? Warum sollten die Bediensteten dem erstbesten Spitzbuben glauben?«
    Fandorin-san (heftig): »Daß Sie nur nicht in nächster Zeit vom ›Ermittlungsführer in besonders wichtigen Fällen‹ degradiert werden zum ›Ermittlungsführer in nicht besonders wichtigen Fällen‹, Monsieur Coche. Sie studieren Ihre eigenen Materialien nicht aufmerksam genug, und das ist unverzeihlich. Werfen Sie doch nochmals einen Blick in den Artikel aus dem ›Soir‹, in dem von der Bekanntschaft Lord Littlebys mit der internationalen Abenteurerin Marie Sansfond die Rede ist.«
    Der Kommissar kramte in seiner schwarzen Mappe, holte den Zeitungsausschnitt hervor und überflog ihn.
    Der Kommissar (achselzuckend): »Na und?«
    Fandorin-san (zeigte mit dem Finger): »Da unten. Schauen Sie, der Anfang der folgenden Notiz:
CHOLERAEPIDEMIE IM ABKLINGEN
. Da ist die Rede von ›energischen prophylaktischen Maßnahmen der Pariser Ärzte‹.«
    Truffo-san: »Tatsächlich, meine Herrschaften. Paris hat den ganzen Winter über gegen das wiederholte Aufflackern der Cholera gekämpft. In Dover wurde sogar ein sanitärer Kontrollpunkt für die Kanalfähren aus Calais eingerichtet.«
    Fandorin-san: »Darum weckte das Erscheinen eines Arztes bei der Dienerschaft keinerlei Verdacht. Der Besucher trat gewiß sehr sicher auf und sprach überzeugend. Möglicherweise
sagte er, es sei schon spät, und er müsse noch mehrere Häuser aufsuchen, oder etwas in der Art. Den Hausherrn mochten die Diener wohl nicht behelligen, da sie von seinem Podagraanfall wußten, doch die Wächter aus dem ersten Stock haben sie natürlich gerufen. Eine Injektion ist schließlich Minutensache.«
    Ich war begeistert von dem Scharfsinn des Diplomaten, der die schwierige Aufgabe so leicht gelöst hatte. Auch Kommissar Coche wurde nachdenklich.
    »Mal angenommen, es war so«, sagte er mißmutig. »Aber wie wollen Sie den sonderbaren Umstand erklären, daß Ihr Arzt, nachdem er die Diener vergiftet hatte, nicht die Treppe zum ersten Stock hinaufstieg, sondern hinausging, über den Zaun in den Garten kletterte und das Fenster in der Orangerie zerschlug?«
    Fandorin-san: »Ich habe darüber nachgedacht. Ist Ihnen noch nicht in den Sinn gekommen, daß es ja auch zwei Verbrecher gewesen sein können? Der eine beseitigte die Diener, und der andere drang derweil durchs Fenster ins Haus ein.«
    Der Kommissar (triumphierend): »Doch, es ist mir in den Sinn gekommen, Herr Klugschwätzer. Zu dieser Schlußfolgerung wollte der Mörder uns ja verleiten. Er versuchte die Spur zu verwischen, das liegt auf der Hand! Nachdem er im Anrichteraum die Diener vergiftet hatte, stieg er die Treppe hinauf und stieß auf den Hausherrn. Wahrscheinlich hatte er das Glas der Vitrine mit Getöse zerschmettert, da er annahm, daß niemand weiter im Haus wäre. Der Lord kam auf den Lärm hin aus dem Schlafzimmer und wurde getötet. Nach diesem außerplanmäßigen Vorfall entwich der Täter eiligst, doch nicht durch die Tür, sondern durchs Fenster der Orangerie. Warum? Um uns zu verwirren und die Sache so darzustellen, als wären sie zu zweit gewesen. Und darauf sind Sie hereingefallen. Aber der alte Coche ist so billig nicht zu kaufen.«
    Die Worte des Kommissars wurden beifällig aufgenommen. Regnier-san sagte sogar: »Verdammt, Kommissar, mit Ihnen ist nicht gut Kirschen essen.« (Dieser bildhafte Ausdruck kommt in verschiedenen europäischen Sprachen vor. Er ist nicht wörtlich zu nehmen. Der Leutnant will sagen, daß Coche-san ein sehr kluger und erfahrener Fahnder ist.)
    Fandorin-san wartete ein wenig und fragte dann: »Sie haben also die Fußabdrücke unterm Fenster genau studiert und befunden, daß der Mann heruntergesprungen und nicht aufs Fensterbrett gestiegen ist?«
    Darauf gab der Kommissar keine Antwort, sah aber den Russen verdrossen an.
    Da machte Stomp-san eine Äußerung, die dem Gespräch eine neue, noch schärfere Note verlieh.
    »Ein Verbrecher, zwei Verbrecher – ich verstehe noch immer nicht das Wichtigste: Wozu das alles?« sagte sie. »Nicht wegen des Schiwa, klar. Also wozu? Doch wohl nicht wegen des Tuchs, so herrlich es auch sein mag.«
    Darauf sagte Fandorin-san, als verstünde

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