Mord auf Raten
ja, ja, das könnte es sein! Lieber Freund Wedel, du hast behauptet, pünktlich um einundzwanzig Uhr zwanzig gelandet zu sein. Und das war eine große Lüge, die du mir erklären wirst. Wir sehen uns.
Er ging zu Bett, wo Andrea auf dem Bauch lag und kaum merklich atmete. Er legte sich so leise wie möglich hin und zog die Bettdecke hoch. Er hatte trotz des langen und anstrengenden Tages Mühe, einzuschlafen. Brandt ging durch den Kopf, was wäre, sollte Jochen der Mörder seines Bruders sein. Hatte er eben noch gejubelt, ihn in den engeren Kreis der Tatverdächtigen einbeziehen zu können, so dachte er jetzt, dass es alles andere als ein Triumph wäre, ihn festzunehmen, denn er konnte sich vorstellen, aus welcher Verzweiflung heraus er gehandelt hatte. Nein, dachte er, du wirst ihn lediglich fragen, warum er nicht gesagt hat, dass er fast eine halbe Stunde früher als vorgesehen gelandet ist. Punkt.
Samstag, 9.30 Uhr
Während Andrea die Nacht fast regungslos neben ihm verbracht hatte, konnte Brandt trotz aller Bemühungen bis zum Morgengrauen nicht einschlafen, zu sehr beschäftigte ihn die Frage, ob Jochen Wedel seinen Bruder getötet hat. Sein Kopf sagte ihm, dass es noch keinerlei Beweise gegen ihn gab, sein Bauch sprach jedoch eine andere Sprache. So wie bei Banser, der zwar ein handfestes Motiv vorweisen konnte und dessen Fingerabdrücke am Tatort sichergestellt wurden, von dem Brandt aber dennoch nicht glaubte, dass er zu einem Mord fähig war. Und auf seinen Bauch konnte er sich verlassen, während es mit den Fakten oftmals haperte. Ein paar Fingerabdrücke, Abdrücke von Schuhsohlen, ein Zeuge, der einen vermeintlichen Täter zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts gesehen haben wollte, ein scheinbares Motiv reichten den meisten Beamten und auch der Staatsanwaltschaft schon aus, jemandenfestzunehmen und in Untersuchungshaft zu stecken. Und nicht selten kam es vor, nicht nur in Offenbach, sondern überall in Deutschland, dass Unschuldige für ein Verbrechen hinter Gitter gebracht wurden, weil sie lediglich kein nachprüfbares Alibi vorweisen konnten. Brandt kannte mehrere solcher Fälle, auch von Kollegen aus anderen Dienststellen, wie schnell jemand zum Verbrecher abgestempelt wurde, obgleich der- oder diejenige mit der ihm oder ihr vorgeworfenen Tat nicht das Geringste zu tun hatte und dennoch aufgrund fragwürdiger Indizien und Zeugenaussagen für eine lange Zeit im Gefängnis verschwunden war. Und die Gerichte ließen sich nur schwer zu einem Wiederaufnahmeverfahren überreden. Stand die Schuld in den Augen der Justiz einmal fest, so war das Urteil unumstößlich. Brandt kannte gute und faire Richter und Staatsanwälte, er kannte aber auch andere, die gnadenlos selbst den kleinsten Gauner zu hohen Strafen verdonnerten, einen Steuersünder, der ein paar tausend Euro am Finanzamt vorbeigeschleust hatte, während sie die Verbrechergrößen häufig wie VIPs behandelten. Und zu diesen Größen zählte Brandt auch den einen oder andern Banker, Aufsichtsratsvorsitzenden, Großunternehmer, die sich die besten Anwälte leisten konnten und das nötige Geld besaßen, einem Staatsanwalt und Richter einige Gefälligkeiten zu erweisen. Ein neues Auto, der Ausbau eines Hauses oder eine Eigentumswohnung, wo jemand ungestört seine Schäferstündchen abhalten konnte, eine größere Summe auf ein Auslandskonto …
Aber Korruption war bei der Polizei ein Tabuthema. Jeder wusste von den Schmierereien, viele machten mit, doch keiner würde es wagen, den Mund aufzumachen, aus Angst vor Repressalien, denen erst vor kurzem eine junge Kolleginin Frankfurt zum Opfer gefallen war. Angeblich hatte sie Selbstmord begangen, doch hinter vorgehaltener Hand wurde getuschelt, dass sie umgebracht worden war. Sie war zu mutig und engagiert aufgetreten und ins offene Messer der Kollegen gelaufen. Brandt kannte selbst einige Kollegen aus seinem Präsidium, die gerne die Hand aufhielten und dafür beide Augen zudrückten. Doch die Ganoven, mit denen er es oft zu tun hatte, Zuhälter, Dealer und andere Kriminelle, wussten, dass er unbestechlich war, und würden nie den Versuch wagen, ihn zu bestechen. Sein Vater hatte ihm einmal gesagt: Wenn du dem Teufel jemals auch nur den kleinen Finger hinhältst, wird er dich in den Abgrund reißen. Ein Pakt mit ihm, und du wirst ihn nie wieder los. Du hast einen Eid geschworen, dem Gesetz zu dienen, und diesen Eid darfst du niemals brechen, und wenn andere es tausendmal tun und nichts dabei finden, du
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