Mord auf Widerruf
Sie entschieden besser dran, Sohn«, sagte Dalziel. »Scheuchen Sie ihn hoch, ja?«
»Nur, wenn er will«, zierte sich der Beamte. »Er ist nicht verpflichtet zu kommen.«
»Keine Sorge. Wenn Sie ihm meinen Namen nennen, kann er nicht widerstehen.«
Einige Minuten später ging die Tür auf, und Philip Swain betrat den Raum. Während der kurzen Zeit, die er in Untersuchungshaft verbracht hatte, war die gesunde Farbe, die er aus Kalifornien mitgebracht hatte, etwas verblaßt, doch seine Verfassung war ganz die alte.
»Hallo, Superintendent, was gibt’s? Lampenfieber?«
»Hallo, Swain. Wie behandelt man Sie?«
»Gut. Aber ich mache keinen Hehl daraus, daß ich froh bin, wenn ich freikomme und zurück nach Moscow Farm kann.«
Dalziel lächelte. Spott, Bravour oder echtes Selbstvertrauen, ihm war es gleich.
»Setzen Sie auf Kaution?«
»Wenn Sie Ihre Ermittlungen abgeschlossen haben, werden Sie doch wohl kaum wieder Einspruch erheben, oder?«
»Was spricht dagegen? Wir wollen doch nicht, daß Sie untertauchen, nicht wahr?«
Lächelnd erwiderte Swain: »Immer schön langsam! Wenn ich schon nicht bereit war, mit einem ordentlichen Gehalt im Ausland zu leben, werde ich wohl kaum als Flüchtiger mein Dasein fristen wollen.«
»Sie hatten also
tatsächlich
beschlossen, die Stelle bei Delgaldo nicht anzunehmen?« sagte Dalziel. »Ich dachte, Sie wollen vorbringen, daß Sie und Ihre Frau noch darüber diskutieren wollten. Junge, Sie müssen sich an Ihren Text halten! Gar nicht so einfach, wenn man da oben steht und alle Augen auf einen gerichtet sind. Ich weiß, wovon ich rede.«
»Was zum Teufel wollen Sie, Dalziel? Ich habe nur eingewilligt, mit Ihnen zu sprechen, um mir die Langeweile zu vertreiben, aber ich habe den Verdacht, in meiner Zelle ist es weniger langweilig.«
»Lügner«, sagte Dalziel liebenswürdig. »Sie sind gekommen, weil Sie hören wollen, was ich zu sagen habe. Denn egal, was Sie denken, das Sie denken, und egal, was Sie denken, das Ihr Anwalt denkt – Sie glauben erst dann, daß Sie nicht des Mordes angeklagt werden, wenn Sie es aus meinem Mund hören.«
Swain versuchte nicht ganz erfolgreich, unbeteiligt auszusehen.
»Hören Sie«, sagte er. »Ich habe freiwillig gestanden, was ich getan habe, und ich nehme die Strafe auf mich. Aber ein Mörder bin ich nicht, und Sie wissen, daß es keinen Beweis dafür gibt, daß ich ein Mörder bin, und ich kann nicht glauben, daß der britischen Justiz ein solcher Fehler unterlaufen könnte.«
»Ach ja? Kaum hundert Meter von hier ist ein Friedhof, wenn Sie den sähen, würden Sie vielleicht Ihre Meinung ändern«, sagte Dalziel. »Aber ich kann Sie beruhigen. Deshalb bin ich ja hier. Feiertag, Sonnenschein, alle Welt vergnügt sich, und ich mußte an Sie denken, wie Sie hier hocken – eingesperrt, elend, unruhig, noch nicht einmal in der Lage, Ihren Anwalt anzurufen – er ist gestern nach Barbados geflogen, wie Sie vermutlich wissen? An dem nötigen Kleingeld fehlt es diesen Geiern ja nie. So bin ich hier, Ihnen den Liebesdienst zu erweisen, jeden Zweifel aus dem Weg zu räumen. Obwohl das eigentlich ein bißchen absurd ist, nicht wahr? Zweifel sind ja genau das, was Sie brauchen! Der Zweifel ist Ihr bester Freund.«
»Wovon reden Sie denn nun schon wieder?« fragte Swain geduldig.
»Dubio –
in dubio pro reo,
wie die Juristen sagen, davon rede ich. Nach diesem Grundsatz fällen ermattete Geschworene ihre Entscheidungen über angeklagte Gefangene. Und bei Ihnen ist eine gewaltige Menge Zweifel im Spiel. Nehmen wir Ihre Frau. Sie sagen, es sei ein Unfall gewesen, und es gibt keinen Beweis, daß es keiner war. Also:
Zweifel.
Oder Bev King. Sie sagen, es sei Watersons Idee gewesen, und er führte sie aus, nachdem Sie Ihre Meinung geändert hatten und ihn zu stoppen versuchten.
Zweifel.
Oder Waterson selbst. Sie sagen, es müsse Arnie gewesen sein, der ihn getötet habe, aus Dankbarkeit Ihnen gegenüber und aus Widerwillen gegenüber der Sorte Mensch, die Waterson war.
Zweifel.
Und zu guter Letzt der arme alte Arnie. Ist dem Bagger in die Quere gekommen. Vielleicht hat er sich wegen seiner großen Schuldgefühle nicht ausreichend angestrengt, sich in Sicherheit zu bringen. Wie dem auch sei,
Zweifel.
Sehen Sie, was ich meine, Phil? Für Sie geht kein Weg am Zweifel vorbei. Und es ist merkwürdig, wie das mit dem Zweifel funktioniert. Die einen sagen vielleicht: Es sind einfach zu viele Todesfälle; das kann kein Zufall mehr sein; die Anwendung
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