Mord auf Widerruf
hat bei AtlasTayler gearbeitet, wurde aber freigestellt, als die Amis ihr Schäfchen ins Trockene brachten. Ich hätte ihm einen Job in der Firma verschaffen können, aber nein, er wollte unbedingt in seinem Beruf tätig sein. Und schließlich hat er sich in den Süden verdrückt, um dort Arbeit zu suchen. Nachdem, was man so hört, hat er etwas gefunden und verdient gutes Geld, zumindest reicht es für ihn, um einen draufzumachen, ohne daran zu denken, etwas an Frau und Kind zu schicken.«
»Sie wollen sagen, daß er nicht zurückgekommen ist, um sie zu besuchen?« sagte Pascoe.
»Zurückgekommen? Warum sollte denn ein Egoist wie der zurückkommen, es sei denn, um noch mehr Ärger zu machen?« rief Stringer aus. »Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich ihn sogar gesucht, aber er muß Wind davon gekriegt haben, denn er war verzogen, ohne eine Adresse für seine Post zu hinterlassen. Aber eins sage ich Ihnen, für mich ist er nicht weit genug weggezogen!«
»Und was ist mit Shirley?« fragte Pascoe, von Stringers Leidenschaftlichkeit verblüfft. »Wie steht sie dazu? Wie hat sich die Geschichte auf sie ausgewirkt?«
»Wenn Sie Shirley früher gekannt hätten, wäre die Frage unnötig gewesen. Hier, sehen Sie selbst.«
Er holte ein Foto aus seiner Brieftasche. Es war ein Schnappschuß von Stringer und einem Mädchen von etwa zwölf oder dreizehn Jahren, die zusammen an einem kleinen Klapptisch unter einer gestreiften Markise saßen. Beide strahlten in die Kamera. Schön war das Mädchen nicht, aber sie hatte ein frisches Gesicht, sah vital und sorglos aus, und man mußte lange hinschauen, um in diesem Kind die Züge von Shirley Appleyard zu entdecken.
Ihr Vater war viel leichter wiederzuerkennen, aber die Jahre hatten auch seine Züge mit Schmerz, Zorn und hilfloser Sorge geprägt.
»Reizendes Ding«, sagte Pascoe.
Er hatte nicht beabsichtigt, seine Bewunderung nach Präteritum klingen zu lassen, aber so kam es bei Stringer an.
»Ja, das war sie«, sagte er halb zu sich. »Ein reizendes Ding. Das haben alle gesagt. Und für sie gab es niemanden, der es mit ihrem Paps aufnehmen konnte. Sie begleitete mich immer überallhin und erzählte mir alles. Und dann veränderte sich alles. Als würde Milch sauer. Zuerst geht es ganz langsam, äußerlich sieht alles noch aus wie immer … aber am Ende läßt es sich nicht mehr verstecken! Haben Sie Kinder?«
»Eines. Ein Mädchen.«
»Dann verstehen Sie das wahrscheinlich.«
Verstehen? Was? fragte sich Peter Pascoe, als er nach Hause fuhr. Stringer kam ihm nicht wie jemand vor, für den geteiltes Leid halbes Leid war. Doch als er Rosie ihre Gute-Nacht-Geschichte vorlas, ertappte er sich dabei, wie er darüber nachdachte, was er für denjenigen empfinden würde, der das Leben seiner Tochter ruinierte, und seine Überlegungen waren nicht gerade ein Trost.
Er ging nach unten, wo er Ellie am Eßtisch antraf, inmitten der Akten und Unterlagen, die sie zu sammeln begonnen hatte, seit Eileen Chung sie zu ihrer unbezahlten Presseagentin gemacht hatte. Sie lächelten sich an, und er ging ins Wohnzimmer und schenkte sich einen Drink ein. Er wußte, daß im Fernsehen eine Talkshow lief, die er normalerweise gern sah, aber er konnte sich nicht aufraffen, den Fernseher anzustellen. Plötzlich setzte sich Ellie auf die Armlehne seines Sessels und sagte: »Du siehst bedrückt aus. Hast du etwas auf dem Herzen?«
»Nein. Nur das Leben im allgemeinen.«
»In diesem Fall hör auf, dir Sorgen zu machen. Zu guter Letzt heilt das von selbst, hat man mir gesagt.«
»Nach diesem Prinzip funktioniert der staatliche Gesundheitsdienst«, sagte er. »Doch manche Leute versichern sich privat und umgehen die Schlange.«
»Tut mir leid. Was soll das sein? Meine Quizfrage für heute abend?«
»Nein. Es gibt da eine Frau, Gail Swain, die sich eine Kugel in den Kopf gejagt hat. Zumindest sieht es für mich danach aus. Und dann gibt es da eine andere Frau, die an Dalziel schreibt, sie würde sich umbringen.«
»Ach du liebe Güte! Davon hast du mir ja noch gar nichts erzählt!«
»Nein. Sie hatte nämlich mit dem Schreiben aufgehört, und alles schien überstanden, und nun schickt sie wieder Briefe«, sagte er lahm.
»Ich verstehe. Warum Dalziel? Und wenn Dalziel, warum dann du?«
»In extremis beten selbst Atheisten. Und der Chef hat das Privileg zu delegieren.«
Ellie lachte, dann sagte sie: »Diese Briefe, darf ich vielleicht einmal einen Blick darauf werfen?«
Pascoe
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