Mord hat keine Tränen: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
beträchtlichen Reihe von Fahrzeugen vor dem Tor.
»Unsere Jungs von der Forensik«, stellte Palmer fest. Sie beobachteten, wie die Insassen ausstiegen und ihre Ausrüstung abluden. »Ich gehe besser und sage erst mal Hallo.«
Für den Augenblick waren die Dinge mehr oder weniger nicht in ihrer Hand. Jess ging zu ihrem Wagen und stieg ein. Sie beobachtete das Treiben draußen, bis sämtliche Techniker im Haus verschwunden waren, um anschließend zögernd ihren Chef anzurufen, Superintendent Ian Carter.
»Wie geht es voran?«, hörte sie Carters Stimme an ihrem Ohr.
»Alle sind eingetroffen, Sir.« Sie stockte. Morton war zusammen mit einem der Constables aus dem Gestrüpp aufgetaucht. Sie kamen in ihre Richtung. »Einschließlich Tom Palmer. Er kann vielleicht bestätigen, ob der Todesfall tatsächlich so verdächtig ist, wie er aussieht. Es gibt mehrere eigenartige Fakten. Erstens existiert nicht der kleinste Hinweis, wie der Tote hierhergekommen ist. Dann trägt er keinerlei Dokumente bei sich, die Auskunft über seine Identität geben könnten. Mr. Bickerstaffe sagt, dass er ihn nicht kennt und noch nie gesehen hat, und seine Nichte, Mrs. Harwell - wobei mir nicht ganz klar ist, ob sie tatsächlich seine Nichte ist -, kennt den Toten ebenfalls nicht. Abgesehen davon gibt es noch eine Reihe weiterer Rätsel.«
»Wer ist Bickerstaffe?«, wollte Carter wissen. »Wie zuverlässig schätzen Sie ihn als Zeugen ein?«
»Er ist ein älterer Mann, lebt sehr zurückgezogen, Sir. Definitiv exzentrisch. Soweit es ihn betrifft, ist er sich durchaus im Klaren über das, was in seinem Haus geschehen ist. Sein Vorname lautet Monty - ich nehme an, eine Abkürzung für Montague. Er hat sein ganzes Leben in diesem Haus gelebt. Früher einmal muss die Familie wohlhabend gewesen sein, doch davon ist nichts mehr zu sehen. Balaclava House ist außen wie innen völlig heruntergekommen und in einem schrecklichen Zustand.«
»Das klingt definitiv verdächtig. Halten Sie mich auf dem Laufenden«, sagte Ian Carter und legte auf.
Morton hatte vor dem Wagen gewartet. Jetzt beugte er sich zu ihr herab, und Jess kurbelte die Scheibe herunter. »War das der Boss?«
»Er war es, Phil, und er hat kein Problem damit, wenn wir von einem unnatürlichen Todesfall ausgehen.«
Morton blickte erleichtert drein.
Knirschende Schritte auf dem Kies kündeten von der Rückkehr Tom Palmers.
»Nun?«, fragten Morton und Jess unisono.
Palmer kratzte sich am Kopf. »Ich kann nichts Genaues sagen, bevor ich ihn nicht auf meinem Tisch hatte. Er ist noch nicht lange tot, ein paar Stunden höchstens. Fragen Sie mich nicht nach einem genaueren Zeitpunkt. Und fragen Sie mich auch nicht, woran er gestorben ist. Die äußeren Anzeichen deuten auf eine Vergiftung hin.«
»Eine Vergiftung?«, rief Morton aus.
»Ich kann Ihnen später mehr verraten.« Palmer blickte unsicher drein. »Da ist noch etwas, das mir merkwürdig vorkam bei diesem Toten ...«
Sie warteten gespannt darauf, dass er weiterredete, doch Palmer hatte seine Meinung offensichtlich geändert.
»Ich will ihn erst genau in Augenschein nehmen. Ich will mich nicht in vorschnellen Schlüssen ergehen, nur weil meine Phantasie mit mir durchgeht.«
Sie sahen ihm hinterher, als er zu seinem Wagen ging und sich aus der Schutzkleidung schälte.
»Und was war das jetzt?«, fragte Morton an Jess gewandt.
Doch Jess konnte auch nur den Kopf schütteln. »Keine Ahnung, Phil, wirklich keine Ahnung. Ich nehme an, Tom ist nur vorsichtig, weiter nichts.« Aber vorsichtig warum genau? Ziemlich missmutig fügte sie hinzu: »Was hat er bloß bemerkt, das ich übersehen habe?«
K APITEL 4
»Nun, Ian«, sagte Monica Farrell, »wenn das mal keine Überraschung ist! Wir haben dich ja eine kleine Ewigkeit nicht mehr gesehen!«
Die Worte waren vorwurfsvoll, doch der Tonfall war nachsichtig und ohne Spitze. Um zu unterstreichen, dass sie als Willkommen gedacht waren, tätschelte sie ihm dabei den Arm.
»›Nur herein in die gute Stube!‹, sagte die Spinne zur Fliege. Ich habe den Sherry schon bereitgestellt.«
An der Tante seiner Exfrau war nichts, was an eine Spinne erinnert hätte, im Gegenteil. Superintendent Ian Carter folgte der stämmigen, kleinen Frau ins Innere des Hauses. Sie trug einen weiten Rock, eine alte Strickjacke und vernünftige Schuhe. Sie hatte die langen grauen Haare zu einem Knoten hochgesteckt, der höchst unsicher gehalten wurde von einer Schildpattnadel, die aussah, als stammte sie noch
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