Mord hat keine Tränen: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
noch vor dem Frühstück!«
»Aber sie hat ...«, begann Monty.
Dann verstummte er. Natürlich. Sie hatte nicht. Sie hatte nicht mitten in der Nacht angerufen. Sie war nach unten gegangen - ohne zu telefonieren. Wäre er, Monty, nicht schwach und widerspruchslos in sein Bett zurückgekehrt, sondern selbst nach unten in den Flur gestiegen, so mühselig es auch gewesen wäre, hätte er dafür gesorgt, dass sie angerufen hätte. Aber so ... sie hatte gewartet, bis sie gewusst hatte, dass es zu spät war.
Mit einem Gefühl von Übelkeit wurde ihm bewusst, warum sie so gehandelt hatte. Sie hatte von der Affäre seines Vaters mit Pennys Mutter gewusst. Sie hatte es die ganze Zeit gewusst, all die Jahre. Wie konnte er, Monty, so naiv gewesen sein zu glauben, dass sie, die betrogene Ehefrau, nicht die Wahrheit herausgefunden hatte - sie nicht irgendwie instinktiv gewusst hatte? Dass sie nicht all die kleinen verräterischen Zeichen entziffert hatte wie ein Archäologe die Inschriften auf antiken Ruinen? All die Jahre, die sie arm gewesen waren, hatte die Affäre ihre eigene Stellung nicht bedroht. Weder sie noch Montys Vater hatten eine andere Wahl gehabt als zusammen weiterzuleben, Ehemann und Ehefrau, in diesem kalten, freudlosen Haus. Doch jetzt, da sich ihre finanzielle Lage geändert hatte, hatte Montys Vater möglicherweise angefangen, über eine Scheidung nachzudenken. Davon zu träumen, mit der Frau, die er liebte, noch einmal neu anzufangen. Doch Montys Mutter hatte nichts außer Balaclava House und ihrer Stellung als seine Frau, als Mrs. Bickerstaffe. Sie hatte jahrelang geschuftet und gerackert, ohne ordentliche Hausangestellte und ohne angemessenes Budget, und jetzt sollte die Belohnung darin bestehen, einfach weggeschoben zu werden? Nein. Sie war nicht die Sorte Frau, die so etwas mit sich machen ließ.
Also entschuldigte sich Monty bei dem Arzt. »Ja, natürlich. Selbstverständlich sind Sie sofort gekommen, und es ist außerdem Weihnachten. Es tut mir leid, dass ich die Nerven verloren und Sie so angegriffen habe. Ich bin ganz durcheinander. Meine Mutter und ich wissen sehr wohl zu schätzen, was Sie getan haben.«
»Natürlich sind Sie durcheinander und schockiert, alter Freund«, sagte der Arzt, indem er Monty die Schulter tätschelte. »Es tut mir sehr leid, dass es so zu Ende gegangen ist.«
Zu Ende? Nein, es war nicht zu Ende. Wie konnte es auch? Das Leben musste weitergehen. Montys Leben, das Leben seiner Mutter, ihr gemeinsames Leben als Mutter und Sohn - wie konnten sie so weiterleben, nach dem, was sie getan hatte? Was sollte er jetzt machen? Würde es denn niemals ein Ende geben?
K APITEL 11
Jess fuhr zum zweiten Mal nach Weston St. Ambrose, diesmal jedoch allein. Sie hatten gehofft, nachdem sie Taylors Wohnung gefunden hatten, auch seine Familienangehörigen, seine Freunde und Geschäftspartner aufzuspüren.
Sie hatten tatsächlich einigermaßen Erfolg in ihren Bemühungen, doch bis jetzt war nichts ans Licht gekommen, das einen signifikanten Hinweis geliefert hätte, wer Taylors Tod gewollt haben konnte oder wohin er unterwegs gewesen war, als Hopkins ihn an jenem fatalen Morgen hatte gehen sehen.
Taylor war ein erfahrener Netzwerker gewesen, ein Mann, der zu den Pferderennen gegangen war, mit einem großen Bekanntenkreis, ein Partygänger. Auf der anderen Seite war er ein hochprofessioneller Autor gewesen, der das Leben von Prominenten minutiös analysierte - zugegebenermaßen auf ihre Bitte hin und in einem gemeinsamen Unterfangen -, und er war ihnen dabei unbehaglich nahegekommen. Vielleicht hatte ihm das das Misstrauen einer Menge von Leuten eingetragen.
Die Prominenten, deren Geständnisse er niedergeschrieben hatte, waren nicht schwer auffindbar gewesen - der Versuch hingegen, einen Termin für eine Befragung mit ihnen auszumachen, war eine ganz andere Sache. Sie hatten volle Kalender und waren ständig unterwegs. Einer war in den Vereinigten Staaten, um ein neues Musikalbum zu bewerben. Ein anderer hatte einen Zusammenbruch erlitten und war zurzeit in der Priory Clinic. Doch Carter und Jess schafften es. Ob persönlich befragt oder am Telefon zwischen zwei Auftritten (Sport, Fernsehen oder Photoshootings), alle waren erschüttert, als sie von seiner Ermordung hörten. Doch als sie nach Taylor gefragt wurden, zuckten sie nur die Schultern. Sie räumten ein, dass er sie interviewt hatte. Dass er sie dazu gebracht hatte, groß und breit über sich selbst und ihr Leben zu reden. Jess'
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