Mord hat keine Tränen: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
Eindruck war, dass das in den meisten Fällen nicht weiter schwierig gewesen sein konnte. In einigen anderen jedoch musste es stundenlanges geduldiges, geschicktes Überreden erfordert haben. Genauso, wie sich einige in geschönten Bildern der Öffentlichkeit präsentierten, hätten andere am liebsten ein geschöntes Leben vorgetäuscht. Zu Taylors Gunsten sprach, dass er das nicht erlaubt hatte. Was immer er herausgefunden hatte, er hatte versprochen, taktvoll damit umzugehen, und im Nachhinein stimmten die Befragten überein, dass er sich an sein Wort gehalten hatte, wie Jess feststellte.
Sie - die Stars - hatten Taylor im Gegenzug nicht ermuntert, über sich selbst zu sprechen. Es hatte keine Notwendigkeit bestanden. Das war nicht der Zweck der Übung gewesen. Es war schließlich nur eine Geschäftsvereinbarung gewesen.
Seine Verleger redeten freundlicher über ihn und bedauerten den Verlust, den sein Berufsstand erlitten hatte. Einer von ihnen, befragt von Ian Carter, fasste es zusammen.
»Jay war einer der besten, ein verdammt guter Schreiber. Ja, er hat ziemlich gut verdient, aber er war auch ein Lebemann, das ist jedenfalls der Eindruck, den wir alle hatten. Es würde niemanden überraschen zu erfahren, dass er das Geld genauso schnell ausgegeben hat, wie er es verdient hat. Er war keiner von denen, die in Jeans und einer abgerissenen alten Jacke zum Lunch erscheinen. Er hatte eine Vorliebe für Designeranzüge. Abgesehen davon wussten wir nichts über sein Privatleben. Wir werden ihn vermissen, keine Frage. Man konnte sich immer auf Jay verlassen. Er arbeitete gründlich, und seine Manuskripte waren rechtzeitig da.«
Letzten Endes wussten Carter und Jess nicht viel mehr über den Toten als zu Beginn ihrer Nachforschungen. Sie waren zu dem Ergebnis gekommen, dass Taylor, wie viele andere Menschen auch, weder beliebt noch unbeliebt gewesen war, sondern irgendetwas dazwischen. Er hatte keine offenen Feinde gehabt, und mit Ausnahme von Miss Jeffrey, seiner Nachbarin, gab es niemanden, der eine offene Abneigung gegen ihn einräumte. Hopkins mochte die Arbeit nicht gutgeheißen haben, mit der sein Mieter sich den Lebensunterhalt verdient hatte, doch Taylor hatte die Miete stets pünktlich gezahlt, und Jess nahm an, dass das alles war, worauf es dem Vermieter letzten Endes ankam.
Billy und Terri Hemmings waren die Einzigen, die ihn als Freund bezeichneten und die ehrlich erschüttert waren von seinem Tod, doch auch sie räumten ein, wenig über seinen Hintergrund zu wissen. Andere Bekanntschaften von der Rennbahn sagten, »so gut« hätten sie ihn auch wieder nicht gekannt. Niemand wollte ihn nicht gemocht haben. »Ein sehr angenehmer Zeitgenosse«, fanden alle mehr oder weniger einstimmig. Schwer vorstellbar, dass jemand den armen Kerl ermordet haben sollte.
Hatte das Motiv für den Mord möglicherweise etwas mit Taylors finanzieller Situation zu tun?
Hemmings hatte zwar gesagt, dass Jay Taylor beim Wetten ein Händchen für Sieger gehabt hatte, doch Jess und Carter fanden bald heraus, dass Taylor an manchen Tagen auch vom Pech geradezu verfolgt gewesen und das Geld ihm durch die Hände geronnen war. Woraus sich die Frage ergab, ob er möglicherweise Wettschulden gehabt hatte. Bisher gab es keinerlei Hinweise in dieser Richtung. Sein Bankkonto war nicht überzogen, auch wenn keine Riesensumme an Guthaben existierte. Er hatte sein Konto nie überzogen, erfuhren sie von seinem zuständigen Sachbearbeiter, auch wenn es ein paar Mal sehr eng gewesen war. Er war ein gern gesehener Kunde gewesen.
Also war der Tote zwar ein Spieler gewesen, aber nicht unbesonnen. Er war nicht in die Schuldenfalle getappt. Aber vielleicht in eine andere? Das war die Frage.
Jess hatte angenommen, dass die Verwandten, sollten sie welche ausfindig machen, mehr Trauer zeigen würden. Dem war nicht so. Aus Gerald »Jay« Taylors Krankenakte ging hervor, dass die nächste Angehörige eine Miss Bryant war, eine Tante. Wie sich herausstellte, war die pensionierte Beamtin zugleich die letzte lebende Angehörige. Sie wohnte in einem aggressiv ordentlichen Bungalow direkt außerhalb von Bristol. Jess fuhr zu ihr, um die traurige Nachricht zu überbringen und - mit ein wenig Glück - etwas mehr über den privaten Hintergrund des Toten in Erfahrung zu bringen.
Sie hätte sich keine Gedanken machen müssen, dass Miss Bryant zu untröstlich sein könnte, um Fragen zu beantworten. Sie war eine untersetzte, grauhaarige Brillenträgerin in einem
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