Mord im Bergwald
leise, »aber das wäre sein Stil. Hinterrücks, nicht offen.«
»Was flüstert ihr?«, brüllte Filser. »Glaubt ihr mir nicht?«
Plötzlich kam von irgendwoher gleißendes Licht. Vitus hatte seine Lampe auf Filser gerichtet. Der war für einen Moment geblendet. Fichtl nutzte die Gelegenheit, um sich loszureißen. Er rollte zur Seite, kam blitzschnell auf die Füße, drückte die Glastür zum Tunnelfenster auf und hechtete hinaus. Filser folgte ihm.
Fichtl befand sich schon auf dem Geländer des Betonbalkons, als Filser ihm »Bleib stehen!« hinterherbrüllte. Er feuerte, und Fichtl stürzte. Filser erklomm ebenfalls das Gestänge, verhakte sich allerdings irgendwie – dann sah man nichts mehr.
Irmi stürzte mit Vitus nach vorne. Dabei stieß sie sich irgendwo den Kopf an. Der Schmerz war jäh und dann wieder weg. Sie sah noch, wie Filser das Kar hinunterrutschte, sich überkugelte, immer schneller wurde, eine kleine Gerölllawine mit sich riss. Dann war er außer Sichtweite.
Weiter links, vor dem Steilabfall, lag Fichtl.
Vitus schlang das Seil um das Geländer und warf es aus wie eine Angel. »I hol eam«, rief er Irmi zu. Und leichtfüßig hatte er das Geländer überwunden.
Er schien Saugnäpfe unter den Füßen zu haben, denn er geriet auf dem feinen Geröll keine Sekunde ins Rutschen. Dann erst realisierte Irmi, dass Fichtl lebte. Er stützte sich mühsam an einem Felsen ab und hielt sich dabei die Schulter.
Schon war Vitus bei ihm. Er legte ihm einen Klettergurt an, klickte einen Karabiner ein und hakte sich und den Verletzten im Seil ein.
»Ziag o, Madl, der Bursch hot sich de Schulter ausg'renkt. Des tut gemein weh«, rief er zu Irmi hoch.
Langsam tasteten sie sich hinauf. Mit einer Räuberleiter gelang es Vitus, Fichtl über den Betonbalkon zu hieven. Stöhnend fiel er Irmi zu Füßen. Seine rechte Schulter hing deutlich tiefer als die andere im Poncho. Er hatte eine klaffende Wunde am linken Schienbein, ein paar Kratzer im Gesicht, seine linke Hand blutete. Aber er lebte. Keine Schussverletzung. Filser hatte ihn nicht getroffen.
Irmi war jedes Zeitgefühl abhandengekommen. Dabei waren höchstens fünf Minuten vergangen. Auf einmal spürte sie, dass Wasser über ihr Gesicht rann. Es regnete, nein, es goss, der Wind peitschte den Regen gegen den Tunnelbalkon. Fichtl war klatschnass.
»Geht's, Bua?«, fragte Vitus, der inzwischen zu ihnen gestoßen war.
»Geht schon. Ich bin einfach gesprungen. Ich hab den Schuss gehört und dachte, ich sei tot. Als ich mich abgerollt hab, ist mein Bein hängen geblieben. Au, meine Schulter!«
»Des werd alles wieder, Fichtl. Des werd«, murmelte Vitus beruhigend.
»Und Filser?«
»Ist abgestürzt. Der macht uns momentan keine Sorgen«, meinte Vitus und wandte sich an Irmi: »Los, Madl, bitte hilf mir. Aber pass auf eam sei Schulter auf. Jetzt miassn mer raus.«
Vitus hatte Fichtl auf der linken Seite umfasst, Irmi versuchte, ihn rechts zusätzlich zu stabilisieren.
»Geht's so?«, fragte sie und wunderte sich über den Klang ihrer Stimme. So als höre sie sich erstmals reden nach schier endloser Zeit.
»Die Schulter ist raus, und ich glaub, das Schienbein ist ab«, sagte Fichtl. »Danke, ich dachte, es ist vorbei.«
»Vorbei is es erst, wenn's wirklich vorbei is. Für di war noch koa Platz«, sagte Vitus und sah Fichtl aufmunternd an. »Pack mer's, bis zum Ausgang is ned weit.«
Doch mit dem humpelnden und stöhnenden Fichtl war es eine ziemliche Distanz.
Plötzlich brach das Chaos los. Licht, Stimmengewirr, Schreie – am Ende des Tunnels blickten sie in die Mündungen von Waffen. Irgendjemand brüllte: »Waffen runter!« Von irgendwoher kam ein Notarztteam gerannt. Fichtl glitt zu Boden, Arzt und Sanitäter waren bei ihm. Vitus und Irmi waren umringt von Menschen. Bewaffnete Feldjäger, die sie anstarrten und nicht mehr richtig zu wissen schienen, was sie tun sollten.
Ein Mann mit viel Zierrat auf den Schulterklappen brüllte Irmi an: »Diese Eigenmächtigkeit kostet Sie Ihren Job!«
Von irgendwoher kam Kathi und brüllte zurück: »Lassen Sie die beiden zu den Sanis durch, Sie Trottel! Über Zuständigkeiten plaudern wir später.«
Irmi fühlte sich am Arm gezogen, sie schwankte ein wenig zwischen den beiden Sanitätern. Zeit und Raum verschwammen.
Jemand fummelte an ihrer Stirn rum, jemand anders flößte ihr mit Tee eine Tablette ein. Über ihren Schultern hing eine Decke, und erst als sie zu schlottern begann und ihre Zähne klapperten, war
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