Mord im Bergwald
sonst die Dorfjugend für ihre Feten nutzte – mit fast dreißig war sie dafür auch zu alt, aber was blieb ihr anderes übrig, oder? Korbi war verheiratet, und zwar ausgerechnet mit der Nachbarin, was zugleich bedeutete: mit der Nachbarin ihrer Mutter und ihrer Tochter Sophia. Zu allem Überfluss war Korbis Tochter Annalena die beste Freundin von Sophia. Gut, das konnte sich ändern, denn die kleine streitbare Sofi – die es übrigens hasste, Sofi oder gar Soferl genannt zu werden – hatte ständig neue beste Freundinnen. Zickenkriege waren an der Tagesordnung. Was sich hingegen wohl nicht ändern würde, war die Wohnsituation von
Korbi und Michelle. Die Blondine stammte aus Schwerin, arbeitete in Lermoos am Golfplatz und war Korbi dort beim Golfen zugelaufen.
Dass ausgerechnet der Fußballspieler Korbinian Kohler das Haus nebenan gekauft hatte, war auf den ersten Blick natürlich grandios. Korbi war so was wie ein Held, der es immerhin bis in einen englischen Spitzenverein geschafft hatte. Sonst pflegte man in Österreich ja nur Skifahrer zu verehren. Die konnten dann altern, sich das letzte Hirn wegsaufen, den dümmsten Müll erzählen, in die Politik gehen oder zum Fernsehen – und blieben trotzdem Götter.
Auch Korbi war so ein Gott. Er hatte vor einigen Jahren aufgehört, arbeitete nun irgendwas im Golfmarketing, schwamm in Geld, hatte Blondie-Barbie Michelle geheiratet und war nach Lähn gezogen. Der große Korbinian Kohler! Seit etwa drei Monaten vögelte er Kathi, was er auch sehr gut beherrschte.
Kathi trat nach draußen, das Licht blendete sie. Sie schob die große Sonnenbrille ins Gesicht. In diesem Moment meldete sich ihr Handy. Es war Irmi. Und was sie zu berichten hatte, klang mehr als merkwürdig.
Kathi wandte sich an Korbi, der auf einem alten rostigen Biergartenstuhl lümmelte. Er rauchte mit geschlossenen Augen.
»Ich muss weg. Dienst«, erklärte sie. »Ich hab zwar eigentlich frei, aber die Sache ist mehr als komisch.«
»Hmm. Bis dann.« Korbi öffnete nicht mal die Augen.
1
Beruhigend kraulte Vitus Weingand die Mulidame Zilly am Hals. Unwirsch schüttelte sie den Kopf und erzeugte ein unnachahmliches Geräusch, als ihre langen Ohren zusammenflappten.
Auf dem Vorplatz der Alm stand in der Morgensonne markig-breitbeinig Bernd Orlowski und gestikulierte lautstark herum. Sein oberlehrerhafter Ton schien Zilly dazu zu veranlassen, erneut den Kopf zu schütteln. Es konnte natürlich auch an der langen Warterei liegen. Eigentlich hätten Vitus, Zilly und die Haflingerin schon längst ihren Spätsommerjob antreten sollen: die Schutzwaldsanierung. Das tierische Team von Vitus Weingand kam vor allem in Naturschutzgebieten zum Einsatz, weil seine Tragtiere keinen Lärm machten wie ein Hubschrauber, keine Kerosinemissionen freisetzten und das Wild nicht erschreckten. Zudem konnte man mit Tragtieren die Pflanzen sehr dosiert absetzen. Das erleichterte später die Arbeit für die Pflanzer vom Forstamt.
Doch dieses Jahr hatte man Vitus dazu verdonnert, auch noch menschliche Helfer einzubinden. Man hatte ihm eine Freiwilligentruppe aus Alpenvereinsmitgliedern aufgehalst, angeführt von Bernd Orlowski, dem Vorsitzenden irgendeiner DAV-Sektion. Gestern Nacht hatte es gegossen, als hätte Petrus eine apokalyptische Flutwelle geschickt. Die Sonne brach sich nun in den Wassertropfen, und die steilen Karwendelkare der Soierngruppe zeigten sich in ihren charakteristischen Grauschattierungen. Karwendelgrau war ein wankelmütiger Farbton: Bei Schlechtwetter fast schwarz, bei intensiver Sonneneinstrahlung im Sommer hingegen hatten die Berge eine fast metallische Nuance. Karwendelgrau – so wandelbar wie das schroffe Gebirge.
Es würde heiß werden, so viel war klar, und Vitus wartete ungeduldig. Er wollte am frühen Nachmittag fertig sein, und zwar vor der Gewitterfront, die so sicher kommen würde wie das Amen in der Kirche. Aber Orlowski schwafelte weiter. Ein echter Saupreiß der übelsten Sorte, wie Vitus fand. Im Grunde seines gutmütigen Herzens war Vitus nämlich sehr tolerant. Bei der Feuerwehr hatten sie einen Mainzer, der war leicht integrierbar gewesen, weil er länger am Stammtisch verweilte als alle anderen Dorfbewohner. Und im Trommlerzug machte einer aus Husum mit (oder war es Büsum? – jedenfalls so ein windgepeitschter Sandfurunkel, und der war auch gut zu haben. Redete nämlich wenig, der Krabbenpuler. Was ihn markant von Orlowski unterschied. Der redete immer und überall,
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