Mord im Garten des Sokrates
gewettet, dass ihr schon heute kommen würdet.» Hastig umarmten wir uns, schon mahnte Bias zur Ruhe.
«Pscht!», zischte er wie ein Weib. «Was müsst ihr großen Männer immer für ein Spektakel veranstalten! Kommt jetzt, wir haben keine Zeit zu verlieren.»
Bias nahm die Lampe und führte uns wieder hinaus bis vor das Tor. Als er es geöffnet hatte, hielt er mich am Arm fest.
«Jetzt musst du es tun», sagte er und sah an mir hinauf.
«Was muss ich tun?», fragte ich. Ich verstand nicht, was er wollte.
«Du musst mich niederschlagen», antwortete der kleine Mann.
«Aber warum sollte ich? Du hast uns gerade geholfen!»
«Eben deswegen!», sagte Myson. «Was meinst du, was die Dreißig mit unserem Freund anstellen, wenn sie erfahren, dass er uns geholfen hat?»
In dem Moment ergriff mich eine eigentümliche Ahnung. Meine Nackenhaare stellten sich auf, als hätte sie der kalte Nordwind gestreift. Furcht und Wut überkamen mich zugleich. Er war hier. Ich wusste es, ich fühlte es. Noch bevor ich ihn hätte hören oder sehen können, roch ich ihn, roch die Ausdünstungen des Mannes, der meinen Vater ermordet hatte. Wie hatte ich auch so dumm sein können? Sie hatten Myson überhaupt nur gefangen genommen, um mich aus meinem Versteck zu locken!
«Also gut, dann werde ich dich jetzt niederschlagen», sagte ich in übertriebener Lautstärke und griff nach dem Hammer. Gleichzeitig reichte ich Myson das Stemmeisen und Bias den Dolch. «Hier, ich nehme den Holzstiel, damit ich dich nicht zu sehr verletze!»
Bias und Myson sahen mich an, als wäre ich nicht ganz bei Trost. Aber dann war es da, das Geräusch, auf das ich gewartet hatte. Das Kratzen eines Schuhs, ein unterdrückter Atemzug – keine zwei Schritte entfernt bei der Mauer hinter meinem Rücken. Ich nahm Bias das Licht aus der Hand und sagte: «Die hier wirst du nicht brauchen!» Dann wirbelte ich herum und schleuderte die Öllampe in die Nische, in der sie sich verbargen. Sie zerschellte genau über ihren Köpfen. Ein Schrei: einer der Männer stand in Flammen und rannte wie eine lebende Fackel auf uns zu. Myson hieb ihn mit dem Stemmeisen nieder, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern. Die anderen hatte das brennende Öl verfehlt. Sie waren zu dritt, Strategionssoldaten, und schon drangen sie mit gezückten Schwertern auf uns ein. Aber der Moment der Überraschung war nicht mehr auf ihrer Seite. Der lag nun bei uns, und unsere Angreifer wussten nicht, was sie tun sollten. Hinter ihnen indessen trat eine vierte Gestalt aus der Dunkelheit, und die wusste es sehr wohl.
Ein Hammer kann eine furchtbare Waffe sein. Kein Wunder, dass er von manchem Barbarenvolk beinahe wie das Schwert verehrt wird. Noch ehe mein erster Angreifer nur ausgeholt hatte, zerschlug ich ihm das Schlüsselbein. Er ließ sein Schwert sinken und ging in die Knie. Der zweite Schlag zerbeulte seinen Helm; ohnmächtig fiel er zu Boden. Aus dem Augenwinkel sah ich Myson, der mit seinem zweiten Gegner kämpfte. Aber noch bevor ich ihm zur Hilfe eilen konnte, stellte sich mir der Feind in den Weg, den ich wie keinen anderen hasste und fürchtete. Zweimal wich ich dem Hieb seiner Klinge aus, zweimal parierte er meine Attacke, als ich die Augen in diesem hässlichsten aller Gesichter plötzlich im Triumph aufleuchten sah. Sein Schwert zielte genau auf mein Gesicht. Ich konnte die Schneide gerade noch mit dem Hammerstiel abblocken. Schon schlug er unbarmherzig ein zweites und ein drittes Mal zu. Zu spät erkannte ich, dass er gar nicht mich, sondern den Hammer hatte treffen wollen, dessen hölzerner Griff unter der Wucht des dritten Schlages zersplitterte. Ich war entwaffnet. Das Narbengesicht lachte auf und führte sein Schwert zum letzten Schlag. Ich schloss die Augen. Aspasia und die Kinder, Vater und Mutter, sie rief ich an im Augenblick des Todes. Doch der tödliche Streich blieb aus. Ich sah auf. Der Mörder ließ den Schwertarm sinken. Seine Augen waren starr. Das Leuchten des Triumphes war gewichen. Langsam drehte er sich um die eigene Achse. Mein Dolch steckte zwischen seinen Schulterblättern, hineingetrieben bis zum Schaft, und hinter dem Narbengesicht stand ein zitternder kleiner Bias, kaum größer als ein Knabe. Er hatte ihn erstochen und mir das Leben gerettet. Das Narbengesicht ging noch einen Schritt auf Bias zu, dann versagten ihm die Beine. Er stürzte und erhob sich nicht wieder, niemals wieder. Als der letzte der Angreifer begriff, was geschehen war, ließ er von Myson ab und floh.
Weitere Kostenlose Bücher