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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Zimmers geöffnet worden, wo Chilons jungenhafte Gestalt erschien. Im Licht der kleinen Öllampe war zu sehen, wie er sich noch einmal umdrehte, wohl um sich zu vergewissern, ob es Lysias auch gut ging. Dann schloss er die Tür hinter sich. Im Garten wurde es augenblicklich wieder dunkel.
«Hier sind wir!» flüsterte ich in seine Richtung. Chilons Schritte kamen auf uns zu. Plötzlich ein Geräusch; er musste gegen etwas Hartes getreten sein. Er jaulte auf vor Schmerz und fluchte wie ein Barbar. Ich lachte in mich hinein. Humpelnd kam Chilon zu uns herüber. Er ertastete sich einen Stuhl und ließ sich erschöpft nieder.
«Ich bin mit dem Zeh gegen einen Stein gestoßen», sagte er und hielt sich den Fuß. Ich schmunzelte und war froh, dass es niemand sehen konnte.
«Wie geht es Lysias?», fragten Sokrates und ich beinahe gleichzeitig. Chilon seufzte, bevor er antwortete.
«Er schläft jetzt. Ich habe ihm ein Schlafmittel gegeben.»
«Hat er dir gesagt, was ihn so mitgenommen hat?», fragte Sokrates.
«Nein», erwiderte Chilon mehr an Sokrates als an mich gerichtet, «und dazu ist es vielleicht auch noch zu früh. Aber du hast sicher recht mit deiner Vermutung. Ich habe Lysias auf seinen Bruder angesprochen. Er hat sofort zu zittern begonnen.» Sokrates musste Chilon schon erzählt haben, was er in Erfahrung gebracht hatte. Vielleicht auf dem Weg hierher.
«Was können wir tun?», fragte Sokrates.
«Nichts, wir können ihm nur Zeit und Ruhe geben», antwortete Chilon. «Die Seele kann der Arzt nicht kurieren.» Mit diesen Worten verstummte er und massierte seinen Fuß. Die Seele? Sokrates schien mehr und öfter mit Chilon zu sprechen, als ich annahm. Obwohl ich ihn kaum sehen konnte, spürte ich Chilons Blick auf mir.
«Ich denke, es ist das Beste, wenn ich Lysias morgen kurz vor Tagesanbruch mit nach Piräus nehme», sprach er weiter, diesmal eindeutig an mich gewandt.
«Und warum nach Piräus?», fragte ich gekränkt. Chilon antwortete nicht. Wie hatte ich nur so dumm sein können, ihm Aspasia und die Kinder anzuvertrauen, schoss es mir durch den Kopf. Er war viel zu jung und Aspasia viel zu schön, als dass ich ihnen hätte vertrauen dürfen. Wieso war Aspasia überhaupt so schnell damit einverstanden gewesen, mit den Kindern zu Chilon zu ziehen? Gerade sie, die es sonst nicht ertragen konnte, wenn ich nur eine Nacht ausblieb? Oder war das Versteck bei Chilon nicht vielleicht sogar ihre Idee gewesen?
Sokrates räusperte sich. «Ich habe Chilon erzählt, dass du in Gefahr bist», sagte er, so ruhig er nur konnte. «Wir dachten, Lysias sei dir eine Last und es wäre das Beste, wenn Chilon ihn zu sich nimmt. Außerdem kann Lysias die Stadt von Piräus aus am leichtesten verlassen. Wir wollten nicht an deinen Fähigkeiten als Gastgeber zweifeln.»
Obwohl es dunkel war, sah ich, wie Chilon nickte. «Natürlich bist du eingeladen, sofort mitzukommen», fügte er leise und bescheiden hinzu, «deine Familie wartet auf dich.» Mich überkam augenblicklich bitterste Reue, und ich schwieg beschämt. Vermutlich war ich viel zu lange allein geblieben. Mit der Zeit verlernt es ein einsamer Hund, zwischen Freunden und Feinden zu unterscheiden.
«Du würdest dich wundern, wie viele Athener schon nach Piräus geflohen sind», fügte Chilon noch hinzu.
«Bitte entschuldigt», sagte ich und stand auf, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Plötzlich fiel mir ein, was ich Sokrates schon lange hatte fragen wollen. Mitten in der Bewegung blieb ich stehen und drehte mich zu ihm: «Weißt du noch, wie wir uns kennengelernt und zum ersten Mal über Periander gesprochen haben?», fragte ich und fuhr fort, ohne eine Antwort abzuwarten: «Du hast mir die Geschichte eines Mannes erzählt, der den eigenen Vater bei Gericht meldet, weil er einen seiner Sklaven erschlagen hat. Du erinnerst dich?»
«Gewiss», antwortete Sokrates.
«Wenn ich dich damals richtig verstanden habe, geht es bei dieser Geschichte um die Frage, ob es gerecht ist, die Gesetze der Polis über die Liebe zur Familie zu stellen.»
«So sehe ich es», antwortete Sokrates.
«Sag mir, was hat Periander dazu gesagt? Ich weiß es nicht mehr.»
Sokrates zögerte eine Weile. Sicher musste er sich das Gespräch mit Periander erst wieder ins Gedächtnis rufen. Leider sah ich sein Gesicht nicht, aber ich hätte schwören können, er bewegte die Lippen, während er nachdachte.
«Die Frage hat ihn ungemein beschäftigt», sagte er nach einer Weile. «Ich erinnere mich, wie er mich

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