Mord im Herbst: Roman (German Edition)
die Geschichte immer noch Leben hatte.
Chronologisch ist sie vor Der Feind im Schatten angesiedelt, dem letzten Roman der Wallander-Serie.
Weitere Erzählungen über Kurt Wallander gibt es nicht.
Henning Mankell
Göteborg, im Oktober 2012
Anhang
Nachwort
Henning Mankell
Wie es anfing, wie es endete und
was dazwischen geschah
In einem Karton ganz unten im Keller liegen ein paar staubige Tagebücher. Sie reichen zeitlich weit zurück. Seit 1965 ungefähr habe ich Tagebuch geschrieben, mit unregelmäßiger Regelmäßigkeit, könnte man sagen. In ihnen gibt es alles, von aphoristischen Versuchen bis zu reinen Notizen über Dinge, die ich möglichst am darauffolgenden Tag nicht vergessen haben wollte. Die Tagebücher sind voller Lücken, manchmal monatelang. Doch bisweilen habe ich jeden Tag geschrieben.
So auch im Frühjahr 1990. Ich war von einem längeren Aufenthalt in Afrika zurückgekehrt, wo ich damals halbjahresweise wohnte. Zuhause stellte ich schnell fest, dass sich rassistische Tendenzen in Schweden erschreckend verbreitet hatten, während ich fort war. Unser Land ist niemals ganz frei von diesem gesellschaftlichen Übel gewesen. Aber jetzt sah ich, dass es dramatische Ausmaße angenommen hatte. Einige Monate später beschloss ich, über Rassismus zu schreiben. Eigentlich hatte ich andere Pläne gehabt, aber dies schien mir wichtig.
Viel wichtiger.
Als ich darüber nachdachte, welche Art von Geschichte es werden sollte, kam ich schnell zu dem Schluss, dass ein Kriminalroman das Natürlichste wäre. Ganz einfach deshalb, weil in meiner Auffassung rassistische Handlungen kriminell sind. Die logische Folge war, dass ich einen Ermittler brauchte, einen Kriminalexperten, einen Polizisten.
An einem Tag im Mai 1990 schreibe ich in mein Tagebuch – kaum lesbar für jemand anderen als mich selbst: »Der wärmste Tag in diesem Frühling. Bin über die Felder gegangen. Viel Vogelgesang. Mir wurde klar: Dem Polizisten, den ich beschreiben will, muss bewusst sein, wie schwer es ist, ein guter Polizist zu sein. Verbrechen verändern sich in dem Maße, wie eine Gesellschaft sich verändert. Wenn er seine Arbeit gut machen soll, muss er wissen, was in der Gesellschaft passiert, in der er lebt.«
Ich wohnte damals in Skåne, mitten im sogenannten »Wallanderland«, auf einem Hof am Rande des Dorfes Trunnerup. Vom Hofplatz aus konnte ich das Meer und viele Kirchtürme sehen. Als ich von meinem Spaziergang zurückkam, holte ich das Telefonbuch heraus. Zuerst fand ich den Vornamen Kurt. Er war kurz und angenehm normal. Dazu würde ein längerer Nachname passen. Ich suchte lange und landete bei Wallander. Auch das klang weder zu gewöhnlich noch zu ungewöhnlich.
So sollte er also heißen, mein Polizist. Kurt Wallander. Und ich gab ihm das gleiche Geburtsjahr, das ich habe, 1948. (Auch wenn Pedanten meinen, dass dies nicht in allen Büchern übereinstimmt. Sicherlich nicht, möchte ich sagen. Aber was stimmt schon im Leben?)
Alles, was man schreibt, reiht sich in eine Tradition ein. Autoren, die glauben, außerhalb jeder literarischen Tradition zu stehen, lügen. Man wird nicht aus dem Nichts heraus Künstler.
Als ich überlegte, wie ich Mörder ohne Gesicht schreiben sollte, merkte ich, dass die beste und elementarste »Kriminalgeschichte«, die ich mir vorstellen konnte, das klassische griechische Drama ist. Diese Tradition ist mehr als zweitausend Jahre alt. Ein Stück wie Medea , das von einer Frau handelt, die ihre Kinder tötet, weil sie eifersüchtig auf ihren Mann ist, zeigt den Menschen im Spiegel des Verbrechens. Es verdeutlicht die Gegensätze und Widersprüche, die es zwischen uns und in uns gibt. Zwischen Individuen und Gesellschaft, zwischen Traum und Wirklichkeit. Manchmal schlagen diese Spannungen in Gewalt um, zum Beispiel als Rassenkämpfe. Und dieser Spiegel des Verbrechens geht zurück bis zu den griechischen Autoren. Sie inspirieren uns noch heute. Der einzige Unterschied zwischen damals und heute ist, dass es damals noch kaum ein Polizeiwesen gab. Konflikte wurden auf andere Weise gelöst. Oft waren es die Götter, die über die Schicksale der Menschen bestimmten. Aber das ist eigentlich der einzige grundlegende Unterschied.
Der große dänisch-norwegische Autor Aksel Sandemose hat einmal sinngemäß gesagt: »Das Einzige, worüber es sich lohnt zu schreiben, sind Liebe und Mord.« Vielleicht hat er recht. Hätte er noch Geld hinzugefügt, dann
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