Mord im Herbst: Roman (German Edition)
Ivar Pihlak. In einer Hand hielt er eine Waffe. Eine alte Pistole, konnte Wallander sehen. Eine alte deutsche Armeepistole. Ivar Pihlaks Augen waren noch immer blau. Aber sein Lächeln war verschwunden. Er sah nur müde aus. Müde und alt.
Wallander überlegte. Ivar Pihlak war draußen in der Dunkelheit gewesen und hatte ihn niedergeschlagen. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Halb sieben. Also war er nur kurze Zeit bewusstlos gewesen.
Er versuchte, die Lage einzuschätzen. Die auf ihn gerichtete Waffe war gefährlich, auch wenn sie sich in der Hand eines sechsundachtzigjährigen Mannes befand. Er durfte Ivar Pihlak nicht unterschätzen. Der Mann hatte ihn niedergeschlagen und zuvor ein Auto gestohlen und war damit nach Löderup gefahren.
Wallander spürte Angst. Sprich ruhig, sagte er sich. Sprich vollkommen ruhig, hör zu, keine Anklagen, nur reden und ruhig zuhören.
»Warum sind Sie gekommen?«, fragte Ivar Pihlak.
Seine Stimme klang wieder so traurig, wie sie Wallander zuvor in Ekudden erschienen war. Aber auch angespannt.
»Warum ich in dieses Haus gekommen bin oder warum ich zu Ihnen nach Ekudden gekommen bin?«
»Warum sind Sie gekommen? Ich bin ein alter Mann und sterbe bald. Ich will meine Ruhe haben. Ich habe mein ganzes Leben lang Angst gehabt.«
»Ich wollte nur verstehen, was passiert ist«, sagte Wallander langsam. »Vor ein paar Wochen bin ich hier heraus gekommen, um mir das Haus anzusehen. Um es vielleicht zu kaufen. Dabei bin ich aus Zufall im Garten auf ein Teil eines Skeletts gestoßen, eine Hand.«
»Das ist nicht wahr«, erwiderte Ivar Pihlak.
Er hörte sich plötzlich gehetzt und erregt an, seine Stimme schlug über ins Falsett. Wallander hielt den Atem an.
»Mein ganzes Leben lang wart ihr hinter mir her«, krächzte Ivar. »Sechzig Jahre lang habt ihr mich gejagt. Warum lasst ihr mich nicht in Ruhe? Das Einzige, was mir noch bleibt, ist doch der Epilog, dass ich sterbe.«
»Es war reiner Zufall. Wir wollten nur wissen, wer da gestorben war.«
»Das ist nicht wahr. Ihr wollt mich ins Gefängnis bringen. Ihr wollt, dass ich in einer Gefängniszelle sterbe.«
»Nach fünfundzwanzig Jahren sind alle Verbrechen verjährt. Was Sie auch sagen, es wird Ihnen nichts geschehen.«
Ivar Pihlak zog einen Stuhl heran und setzte sich. Die Pistole hielt er weiter auf Wallander gerichtet.
»Ich verspreche Ihnen, nichts zu unternehmen«, sagte Wallander. »Sie können mich fesseln. Aber legen Sie die Pistole weg.«
Ivar Pihlak antwortete nicht. Er hielt die Waffe fest auf Wallanders Kopf gerichtet.
»Natürlich hatte ich Angst, all die Jahre, dass ihr mich finden würdet«, sagte er nach einer Weile.
»Sind Sie jemals hierher zurückgekommen? In all den Jahren?«
»Nie.«
»Nie?«
»Nicht ein einziges Mal. Ich habe an der Technischen Hochschule Chalmers in Göteborg die Ingenieursausbildung gemacht. Danach arbeitete ich bis Mitte der Sechzigerjahre in einer Maschinenfabrik in Örnsköldsvik. Dann ging ich zurück nach Göteborg und arbeitete ein paar Jahre auf der Eriksbergswerft. Später kam ich nach Malmö. Aber ich war nie hier. Nie mehr. Bis ich nach Ekudden gezogen bin.«
Wallander dachte, dass der Mann jetzt angefangen hatte zu reden. Es war der Anfang einer Erzählung. Er versuchte, sich unmerklich auf dem Stuhl zu bewegen, sodass die Waffe nicht mehr direkt auf sein Gesicht gerichtet war.
»Warum konntet ihr mich nicht in Ruhe lassen?«
»Wir mussten herausfinden, wer die Toten waren. Das ist Aufgabe der Polizei.«
Ivar Pihlak fing plötzlich an zu lachen.
»Ich glaubte, es würde niemals entdeckt werden. Auf jeden Fall nicht, solange ich lebte. Aber dann passierte es. Heute standen Sie da in der Tür und fingen an, Fragen zu stellen. Erzählen Sie mir, was Sie wissen.«
»Wir haben zwei Skelette gefunden, einen Mann und eine Frau. Beide um die fünfzig. Sie hatten mindestens fünfzig Jahre dort gelegen. Sie waren beide getötet worden. Das ist alles.«
»Das ist nicht viel.«
»Ich weiß noch eins. Die Frau hatte zahlreiche Füllungen in ihren Zähnen. Während die Zähne des Mannes sehr gut waren.«
Ivar Pihlak nickte langsam.
»Er war geizig. Nicht bei sich selbst. Aber bei allen anderen.«
»Sie reden von Ihrem Vater?«
»Von wem denn sonst?«
»Ich stelle Fragen, auf die ich Antworten brauche. Nichts sonst.«
»Er war furchtbar geizig. Und gemein. Er ließ sie nicht zum Zahnarzt gehen, bevor die Zähne in ihrem Mund nicht halb verfault waren. Er behandelte
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