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Mord im Herbst: Roman (German Edition)

Mord im Herbst: Roman (German Edition)

Titel: Mord im Herbst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wahrscheinlichsten scheint:
    Vom ersten Augenblick an, schon während jenes Frühlingsspaziergangs über die Felder, war mir klar, dass ich einen Menschen schaffen musste, der so war wie ich und wie der unbekannte Leser. Ein Mensch, der sich ständig veränderte, sowohl mental als auch physisch. Genauso wie ich mich stetig änderte und entwickelte.
    Dies führte bald zu dem, was ich etwas ironisch das »Diabetessyndrom« nenne. Nach dem dritten Roman fragte ich Victoria, eine befreundete Ärztin, die die Bücher gelesen hatte: »Welche Volkskrankheit würdest du diesem Mann geben?« Ohne zu zögern antwortete sie: »Diabetes.«
    So bekam Wallander Diabetes, als ich das nächste Mal über ihn schrieb. Und das machte ihn noch beliebter.
     
    Niemand kann sich vorstellen, dass James Bond auf der Jagd nach einem Schurken plötzlich stehen bleibt, um sich Insulin zu spritzen. Aber Wallander kann das tun, und deshalb ist er ein Mensch wie jeder andere auch; einer, der von Krankheiten, Schwächen und Problemen heimgesucht wird. Er hätte Rheuma oder Gicht bekommen können, Herzrhythmusstörungen oder gefährlich hohen Blutdruck. Aber es wurde Diabetes, und daran leidet er bis zum Schluss, auch wenn er die Krankheit unter Kontrolle hat.
     
    Natürlich gibt es noch andere Gründe dafür, dass Wallander so viele Leser hat. Aber ich glaube, das Ausschlaggebende ist seine Wandelbarkeit. Es ist eigentlich ganz einfach: Ich kann nur Bücher schreiben, die ich auch selbst lesen möchte. Und eine Geschichte, in der ich entweder schon nach der ersten Seite alles über die wichtigste Person weiß, oder merke, dass mit ihm oder ihr auf den nächsten tausend Seiten nichts passieren wird, könnte ich nicht lesen.
     
    In der Welt der Kunst kann man sich Freunde machen. Sherlock Holmes bekommt noch immer Briefe in die Baker Street in London. Ich selbst bekomme Briefe, E-Mails und Anrufe aus vielen Ländern. Ich werde auf der Straße angesprochen, in Göteborg wie auch in Hamburg. Es sind freundliche Fragen, und ich antworte, so gut ich kann.
    Meist sind es Frauen, die sich melden, und die Wallander von seiner Einsamkeit heilen wollen. Auf solche Briefe antworte ich selten. Ich glaube auch nicht, dass diejenigen, die sie schreiben, eine Antwort erwarten. Die Menschen sind doch trotz allem recht vernünftig. Man kann nicht mit einer literarischen Figur zusammenleben, so gerne man das auch möchte. Man kann sie als imaginären Freund haben, den man hervorholen kann, wenn man ihn braucht. Die Aufgabe der Kunst ist es unter anderem, den Menschen Weggefährten zu schenken. Ich habe auf Gemälden Menschen gesehen, von denen ich hoffe, ihnen eines Tages auf der Straße zu begegnen. In Büchern oder Filmen gibt es Menschen, die am Ende so lebendig erscheinen, dass wir fast erwarten, sie an der nächsten Ecke vor uns auftauchen zu sehen. Wallander ist einer dieser Menschen, die sich hinter so einer Ecke verbergen. Aber sie kommen nie hervor, um sich zu zeigen. Zumindest mir zeigen sie sich nicht.
     
    Einmal hat es mir fast die Sprache verschlagen. Das war 1994. In Schweden sollten wir darüber abstimmen, ob wir in die EU wollten oder nicht. Ich ging die Vasagatan in Stockholm entlang. Ein älterer Mann sprach mich an. Er war sehr freundlich und versiert und fragte, ob ich derjenige wäre, für den er mich hielt. Ich antwortete: Ja. Da sagte er: »Ich frage mich, ob Kurt Wallander für oder gegen die EU stimmen würde.«
    Seine Frage war ernst gemeint. Daran zweifelte ich keinen Augenblick. Seine Neugier war echt. Aber was sollte ich antworten? Ich hatte natürlich nie darüber nachgedacht. Ich überlegte schnell, was ich über das eventuelle Interesse der schwedischen Polizei an einem EU -Beitritt wusste. Schließlich sagte ich: »Ich glaube, er würde für das Gegenteil dessen stimmen, was ich möchte.«
    Und dann ging ich, ohne dem freundlichen Mann die Möglichkeit zu geben, weitere Fragen zu stellen.
    Dieses Mal stimmte ich gegen die Mitgliedschaft. Wallander hat also dafür gestimmt, davon bin ich überzeugt.
     
    Eine Frage, die mir häufig gestellt wird, ist, welche Bücher Wallander liest. Das ist eine gute Frage, denn sie ist schwer zu beantworten. Manchmal habe ich gedacht, er liest die Art von Büchern, die ich schreibe. Aber ganz sicher bin ich mir nicht. Leider glaube ich auch nicht, dass Wallander besonders gerne liest, und bedauerlicherweise liest er wohl kaum Poesie. Aber ich stelle mir vor, dass er sich für Geschichte

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