Mord Im Kloster
Region nördlich von London nebst der darauf liegenden Dörfer dem Tempel vermacht. Henris Präzeptor, der die Güter des Ordens in England verwaltete, hatte seinen jungen Leutnant bestimmt, die Region in der kommenden Woche zu inspizieren.
Es war bereits spät am Abend, die Sonne war verschwunden. Henri ging hinüber in die Tempelkirche. Sie war für die spirituellen Bedürfnisse aller Ordensbrüder des Tempels da und deshalb am Abend voll. Die Kaplansbrüder versorgten die schöne Kirche, gingen umher und zündeten immer neue Kerzen an. Henri blickte in die Höhe und sah, dass der Bau wirklich fast fertig hergestellt war. Nur noch unter dem Dach musste gestrichen werden. Auch in der Runde des Altarraums, an den sich das Mittelschiff anschloss, stand noch ein Holzgerüst vor den Fresken.
Henri liebte den heiter-luftigen Raum mit den steil aufsteigenden Gewölben, er kannte keine Kirche, in der er lieber gewesen wäre. Schöner war auch der Tempel Salomons in Jerusalem nicht und nicht die Grabeskirche. Vielleicht lag es daran, dass diese Kirche nach der gleichen geheimnisvollen Alchimie der Zahlen gebaut worden war. Henri hatte sich damit beschäftigt. Ihre Baumeister hatten mit diesem Rundbau die Anastasis nachahmen wollen, um den Geist Jerusalems zu spüren. Henri spürte diesen Geist mit allen Sinnen und mit jedem Herzschlag.
Henri betete. Dann fiel ihm plötzlich Neville of Gwyn ein. Er hob den Kopf und suchte ihn vergeblich in der Menge der betenden Brüder. Er würde ihn morgen darüber befragen, was er gewollt hatte. Nach einer Weile der Versunkenheit verließ er die Kirche.
In seiner Kammer lag ein Brief. Der Absender war der Abt von St. Albans. Henri kannte die Abtei nördlich von London und ihren Abt Thomas. Er wusste, dass der Abt dieses Klosters gleichzeitig der Erzabt von England war – ein bedeutender Mann. Er hob den Brief verwundert auf und wollte das Siegel gerade aufbrechen, da stutzte er. Das Siegel hielt nur halb. Deutlich waren darunter Kratzspuren wie von einem Messer zu erkennen. Außerdem entdeckte er Flecken. Wer hatte den Brief hierher gelegt? Er hatte nur zu Neville of Gwyn engen Kontakt. Wollte der ihm tagsüber den Brief übergeben?
Henri öffnete das Siegel. Er las den Brief. Er konnte sich nicht entscheiden, ob es ein Notruf war oder eine Warnung. Was wollte der Abt ihm nun wirklich mitteilen?
Henri überlegte. Erst in vier Tagen war Sonntag. Der Tag der Ruhe. Der stillstehende Tag. Da konnte er nach St. Albans reiten. Vielleicht konnte er gleichzeitig die geschenkten Güter inspizieren. Dann fiel ihm die Frau ein, die am Tag zu seinem Fenster emporgestarrt hatte. Hatte sie etwas von ihm gewollt? Ihr Gesicht fiel ihm ein. Es war jung, zart und schön gewesen. Ihre Gestalt im leichten Kleid war ihm im Wind zerbrechlich erschienen, wie bei einem Kind. Aber Henri war zu müde, um sich dieses Bild noch länger in Erinnerung zu rufen. Er kleidete sich aus und legte sich auf sein Lager. Wie schön, dachte er, dass unsere Templerregel uns Anspruch auf weiches Bettzeug gewährt. Er streckte sich aus. Draußen war es still.
Neville of Gwyn wachte auf und sah als Erstes, dass Giacomo in der Zimmerecke saß. Er sah eingeschüchtert aus.
»He, da bist du ja wieder! Was war los?«
»Möcht nicht drüber sprechen, Herr. War nichts Schlimmes.«
»Nun sag schon.«
»Der Herr Bischof brauchte mich.«
»Was? Wozu?«
»Hatte einen kleinen Auftrag.«
»Er hat dich für eine Weile aus dem Verkehr ziehen wollen, was? Warum?«
»Musste den Brief hinlegen.«
»In das Zimmer von Henri?«
Giacomo nickte.
»Moment! Heißt das, du warst es, der den Brief aus meinem Zimmer gestohlen hat?«
»Nein, Herr. Das war ein anderer.«
»Bruder Robin?«
»Darf ich nicht sagen, Herr!« Giacomos Stimme klang jämmerlich.
»Nicke nur, wenn es stimmt.«
Giacomo nickte stumm.
»Giacomo, Giacomo!«, sagte Neville. »Hab keine Angst, dir passiert nichts, solange ich für dich sorge. – Wer gab dir die Anweisung dazu?«
»Darf ich nicht sagen, Herr.«
»Doch, du darfst. Oder ich entlasse dich.«
»Nein, nein! Nur nicht das! Dann sterbe ich!«
»Also sprich schon, du Narr!«
»Der Bischof.«
»Nun«, sagte Neville, »ich habe es mir schon gedacht. Dieser – na ja.«
»Was geschieht jetzt mit mir, Herr?«
»Mit dir? Gar nichts. Aber ich kann dir nicht mehr vertrauen, Giacomo. Das ist schlimm.«
»Sehr schlimm, Herr.«
»Ich kann dich nicht mehr bei mir behalten.«
»Ja, Herr.«
»Du hast
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