Mord Im Kloster
Tempel galt er als rechte Hand des Präzeptors. Er händigte Henri die nötigen Papiere aus. Die Pacht für die neu erworbenen Güter sollte in Bargeld bezahlt werden. Damit entfielen die umständlichen Warentransporte, für die der Tempel kein Personal hatte. Cuthbert und der Kämmerer erklärten Henri alles und verschwanden wieder.
Henri plagte sich den ganzen Morgen mit Blättern herum, in denen der Ertragsreichtum bestimmter Höfe festgehalten wurde. Der Tempel wollte erreichen, dass sich bestimmte Regionen auf den Getreideanbau spezialisierten, andere auf Fleischwirtschaft. Die üppigen Hügel von Bristolshire sollten sich ausschließlich mit Ziegenzucht beschäftigen. Kleine und mittlere Höfe sollten sich auf Schafhaltung konzentrieren. Der Kellermeister Cuthbert war der Ansicht, mit den stetig steigenden Wollpreisen ließe sich die Geldknappheit der Höfe beheben. Dann konnte der Tempel seine Zuschüsse senken und die Schenkungen in rentable Betriebe umwandeln.
Henri war bereits dabei, sich in die Detailfragen zu vertiefen, als er unten eine Frauenstimme hörte. War sie es? Er sprang ans Fenster. Unten stand Jenny Sandys. Jemand stand vor ihr und herrschte sie an. Henri erkannte ihn. Es war der französische Bruder Robin. Hatte Neville ihm nicht erzählt, Robin wäre vor Tagen aus seiner Zelle im Tempel verschwunden?
Henri verließ kurz entschlossen sein Schreibzimmer und ging in den Hof hinunter.
Robin Gilmour-Bryson fand die junge Frau sehr schön. Und obwohl er schnell errötete, waren seine Gedanken nicht jungenhaft. Er begehrte Jenny Sandys, wie er noch nie zuvor eine Frau begehrt hatte. Es hatte ihn wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel getroffen. Und er überlegte schon seit einer Weile, wie er es anstellen konnte, dass diese Gefühle nicht seinem Auftrag in die Quere kamen.
Aber Gefühle gehörten immer zu seinen Plänen.
Jenny sah an diesem Morgen besonders reizvoll aus. Ihr brünettes Haar war straff nach hinten gekämmt, es umrahmte das sanfte Gesicht mit seinen zarten Härchen auf der hellen Haut, eine rote Haube saß auf dem Hinterkopf.
Als Robin der jungen Frau in die Tempelkirche folgte, unterdrückte er seinen Ärger. Sie hatte ihn wieder einmal abgewiesen. Aber er gab nicht auf. Noch wusste er nicht, wie es ihm gelingen würde, aber irgendetwas fiel ihm sicher ein. Er würde die Regeln brechen und Jenny besitzen! Und dann seinen Plan ausführen. Das war er seinem Auftraggeber schuldig.
In der Tempelkirche roch es nach Weihrauch und nach Staub. Bei den Grabdenkmälern aus Purbeckmarmor an der Altarwand klopften Maurer mit kleinen Meißeln schadhafte Stellen herunter. Der meiste Staub kam aber aus luftiger Höhe. Dort hämmerten Steinmetze Putz von den Kapitellen der schlanken Spitzbögen ab, der in Körben aufgefangen wurde. Freskenmaler beschäftigten sich mit den Wandmalereien, erneuerten die letzten verblassten Farben.
Bruder Robin schlug seine Kreuze und suchte verstohlen nach Jenny. Sie schien verschwunden. Dann sah er, wie sie an den Reihen der Obergadenfenster auftauchte. Sie lief an den Bogenfenstern der Rotunde auf einem Baugerüst entlang, Robin sah weitgehend nur ihre Umrisse gegen das einfallende Licht. Am Ende des Gerüstes stand John. Ja, dachte Bruder Robin, such ihn nur, deinen Beschützer. Bald wird er keine Gelegenheit mehr haben, dich zu beschützen. Bald werden ihn die Hunde jagen.
Robin blieb noch in seiner knienden Lage. Zum Gesang des Psalms, der mit Venite begann, senkte er den Kopf und überdachte, ob er sich länger im Tempel halten konnte. Musste er nicht fliehen? Beim Anhören des Invitatoriums und während des Hymnus überfiel ihn der Gedanke, wie lange ihn die Mächtigen noch decken würden. Fast hätte ihn Neville de Gwyn erwischt. Dieser Auftrag, den Brief zu stehlen, hatte ihm überhaupt nicht gepasst. Aber der Bischof hatte es im Auftrag dieses französischen Edelmannes von ihm verlangt. Es war angeblich viel Geld einer Spende für die baufälligen Londoner Kirchen im Spiel. Robin hörte sich das Ende der Psalmen an, als das Gloria patri gesungen wurde, schlug er erneut das Kreuz. Die hohen Herren, dachte er, haben immer ihre eigenen Pläne, und sie dulden keinen Widerspruch.
Robin überlegte, während er sich erhob und sich verneigte. Offensichtlich war Neville angewiesen worden, sich nicht mehr um den Vorfall zu kümmern. Und genauso offensichtlich war es, dass Henri de Roslin nichts von der Sache wusste. Er hatte den Brief erhalten,
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