Mord Im Kloster
gegenübersaß, staunte er nicht schlecht. Der überraschend junge Mann, er hieß Fulco von Hanstein, machte keinen trauernden Eindruck. Vielmehr sprach er angeregt nur über Dinge von Prosperität und Handel. Die Suche nach Vineta interessierte den Deutschorden nicht mehr. Von Missionseifer gegen die Slawen, Litauer und Pommerellen keine Spur. Offenbar hatten die jüngsten militärischen Lehren im Osten ihre Wirkung hinterlassen.
»Aber Ihr könnt doch jederzeit neue Truppen ausrüsten«, fragte Henri, »und in die slawischen Länder schicken?«
»Ja, das könnten wir«, entgegnete Fulco gelangweilt.
»Es scheint, Ihr betrachtet Eure Aufgabe dort als beendet?«
»Seht einmal«, sagte Fulco eifrig und beugte sich vor. »Wir haben uns zu lange mit Dingen aufgehalten, die dem Orden nur Schaden zufügen. Die Länder der Slawen sind viel zu groß. Wer dort einmarschiert, versinkt im Morast, wird von Insekten gefressen oder stirbt im Pfeilhagel wilder Heidenrotten. Wir müssten hundertfach besser gerüstet sein, als wir es sind.«
»Ihr gebt also alle Eure Ansprüche auf die Einführung des christlichen Glaubens auf?«
»Aber nein! Wir verlagern unsere Aufgaben und Ansprüche nur. Wir werden das Slawentum nicht weiter bekriegen, wir werden es durch Handel erobern!«
»Verzeiht, das sind Ansichten von Kaufmannsgilden, es ist eines Ritterordens nicht würdig.«
»Ach nein? Ist das nicht besser, als unterzugehen? Der Tempel ist untergegangen, weil er an einer Berufung festhielt, die keine Grundlage mehr hatte. Ihr seid als Mönchsritter im Heiligen Land groß geworden. Dann war das Heilige Land plötzlich verloren. Und Ihr hattet keine Aufgabe mehr und habt es versäumt, nach einer neuen zu suchen. Das hat Euch doch das Genick gebrochen und sonst gar nichts!«
»Es zeugt nicht von viel Kenntnis der Tatsachen, Fulco von Hanstein, wenn Ihr so redet. Die Gründe für die Zerschlagung unseres Tempels sind vielfältiger Natur. Sie haben mit Unehre und Verrat zu tun. Und auch mit Gier nach dem Besitz von anderen.«
Fulco winkte ungeduldig ab. »Jedenfalls – wir vom Deutschorden sind klüger. Wir erkennen die Zeichen der Zeit und suchen uns neue Aufgaben.«
»Und Jan Matreiko? Er glaubte an andere Dinge. Ist er umsonst gestorben?«
»Unser Hochmeister wird geehrt, das glaubt mir. In einiger Zeit wird in Lübeck überall sein Wappen zu sehen sein, sein Totenschild hängen, und seine Büste erhält einen zentralen Standort am Markt. Aber das heißt nicht, dass wir seinen Idealen nachhängen. Wir haben nachgedacht und sind zu anderen Schlüssen gekommen.«
»Und Vineta? Oder Jumne, wie die Stadt heute heißt? Sie ist ein mächtiger Handelsplatz gewesen. In einer hervorragenden Lage. Baut die Stadt wieder auf, nehmt sie unter Euer Kommando, dann seid Ihr im Osten unschlagbar!«
»Unsinn! Jumne ist untergegangen. Das wisst Ihr selbst am besten. Es ist verschwunden. Zumindest von der Landkarte von Handel und Gewerbe. Und militärisch hat es auch keine Bedeutung. Wir planen ganz andere Dinge – viel weiter im Osten.«
»Erzählt mir davon.«
»Der Fernhandel wird immer stärker. Ich habe persönlich in letzter Zeit die Zolllisten studiert. Ich sage Euch, da liegt die Zukunft! Wir werden alle reich!«
»Es gibt schon genug Kaufleute«, meinte Henri. »Wir sind selbst auf einer Hulk hier gelandet, die mit dem Osten und Westen Handel treibt. Wir haben die Hanse. Braucht man wirklich den Deutschorden, um die wirtschaftlichen Bereiche auszubauen?«
»Mein bester Henri de Roslin! Der bisherige hansische Handel macht einen Fehler nach dem anderen! Das wird ihn bald ruinieren! Ähnlich wie der alte Wanderhandel dient er nicht der Befriedigung dringender Bedürfnisse durch die Beschaffung fehlender Waren…«
»Nicht?«
»Nein. Sondern er transportiert nur wenige, aber wertvolle Waren über große Strecken. Darin liegt nicht genügend Gewinn. Es ist Verschwendung.«
»Was setzt Ihr dagegen?«
»Die Wünsche von Kunden nach feinen oder nach besonders schmackhaften Luxuswaren interessieren mich nicht. In der Frühzeit der Hanse war ein vornehmer Mann ohne Biberkragen, Luchsfell oder schönes Eichhörnchenfutter oder Marderbesatz auf Umhang und Mantel undenkbar. Sie trugen die Pelze selbst im heißen Sommer spazieren. Heute wollen die Massen bedient werden. Ich sage: die Massen!«
»Aber es kann doch nicht sein, dass dies den Deutschorden interessiert«, sagte Henri. »Ihr seid im Heiligen Land entstanden, wie wir. Wir haben
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