Mord Im Kloster
verkörpere eine neue, verweichlichte Generation von Ordensrittern, die an ihren alten Verpflichtungen scheitern musste. Fulco sagte: »Das bietet mir zu wenig Annehmlichkeiten. Ich brauche eine zivilisierte Stadt wie Lübeck. Natur ist mir verhasst. Wenn ich mir allein die Mückenschwärme in diesen Heidenurwäldern vorstelle!«
»Nun gut. Tut, was Ihr für richtig haltet, Fulco. Ich werde jetzt gehen. Es gibt für die Weiterreise noch viel zu tun – ich reise im Gegensatz zu Euch sehr gern. Meine Gefährten erwarten mich später. Übrigens liegt im Hafen eine Hulk, die zum Peterhof nach Novgorod zurückfährt. Sie laden Pelzwerk und Baiensalze. Wenn Ihr mitfahren wollt – in drei Wochen seid Ihr in Novgorod und könnt die Kontore mit der Waffe verteidigen.«
Fulco hatte verstanden. »Ihr seid ein kluger Mann, Henri. Vielleicht überlege ich mir die Sache tatsächlich. Gute Reise!«
Am Abend trafen die Gefährten zusammen. Henri war, angeregt durch das Gespräch mit Fulco, noch einmal zum Hafen zurückgekehrt. Er hatte mit dem Kapitän der Hulk über den Peterhof gesprochen. Dabei erzählte der Kapitän ihm von einer Änderung seiner Reiseroute. Man wollte nicht nach Novgorod zurück, weil sich Gerüchte hielten, die Lübecker Kontore dort würden von Raubrittern belagert, einige seien bereits geplündert worden.
Die Hulk wollte nun Wachse, Tran und Bernstein laden und nach der skandinavischen Halbinsel Falsterbo aufbrechen. Auch dort besaßen die Lübecker Kaufleute, zusammen mit den Danzigern, eine durch den Vogt des dänischen Königs gesicherte Niederlassung, die man Vitte nannte.
»Vielleicht sollten wir überhaupt mehr mit dem Norden handeln als mit dem Osten«, sagte der Kapitän nachdenklich.
Henri dachte an dieses Gespräch, als er die Freunde an verabredeter Stelle traf. Die beiden hatten bereits für alles gesorgt. Drei kräftige norddeutsche Reitpferde standen bereit. Auch andere, schnellere Pferde waren verfügbar, aber mit sicherem Gespür hatte der Sarazene Uthman sich für die ausdauerndsten entschieden. Inmitten von Karren, Planwagen und Maultieren warteten die unruhigen Tiere auf die neuen Besitzer. Sie spürten die Aufbruchsstimmung und spitzten die Ohren. Man würde sie aber erst am nächsten Morgen herausholen.
»Braucht Ihr auch einen Führer?«, wollte der Stallbesitzer, ein kleiner stämmiger Mann, wissen.
Henri verneinte.
Der Mann verscheuchte ein paar fette Hühner mit Fußtritten. »Vielleicht eine Führerin?«
»Wir kommen allein zurecht.«
»Habt Ihr Waffen? Über Land kann vieles passieren.«
Henri bejahte. »Wir nehmen nur die Pferde. Drei Tiere und ein Packpferd. Macht uns einen guten Preis.«
Später, nachdem alles unter Dach und Fach war, gingen die drei Gefährten zum Abendgebet. Lübeck bot für jeden Glauben – außer für den Sarazenen – ein festes Gotteshaus. Sie beteten inbrünstig, jeder nach seinem Ritus. Danach trafen sie sich gestärkt und guten Mutes am Rathaus.
Nach dem Abendessen, das aus einer mit Milch und Kräutern gekochten Fischsuppe, frischem Anisbrot und Hypokras bestand, gingen die Freunde früh schlafen. Die Strohsäcke waren sauber, sie blieben von Ungeziefer verschont, allerdings roch es in der Herberge streng nach Obstessig, mit dem überall in deutschen Landen gereinigt wurde.
Bei Sonnenaufgang brachen sie auf. Der Weg durch das Land zwischen Lübeck und Hamburg war zunächst öde. Felder lösten Wälder ab, dann kamen wieder endlose Weizenfelder. Sie mussten Bäche durchqueren, ein gleichmäßiger Wind fächelte über das flache Land. Das Wetter hielt die ganze Zeit, so wurde der Ritt nicht beschwerlich.
Henri stellte sich während des Rittes unaufhörlich Fragen.
Was trieb ihn so rastlos durch die Zeiten? War er eigentlich auf der Flucht, oder steuerte er ganz selbstverständlich Ziele an? War er der Wind oder das aufwirbelnde Laub darin? Was war, nach dem Scheitern des Tempels, eigentlich der Sinn seines Lebens?
Gewiss, er diente Gott und beschritt die Bahnen des Lebens, die andere auch benutzten – er hoffte, zur Ehre des Herrn. Aber früher hatte er sich solche Fragen nicht gestellt. Früher war in den ausgefüllten Tagen kein Platz für solche Fragen gewesen. Jetzt grübelte er darüber. War das nicht ein schlechtes Zeichen? Musste er sich nicht wieder eine echte Aufgabe stellen – und sie erfüllen?
Was konnte eine solche Aufgabe sein? Rache an den Verschwörern gegen den Tempel? Die ermordeten Brüder zu rächen? Er
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