Mord Im Kloster
Hand.
Nach der siebten Lesung stimmte der Abt das Gloria an. Die Brüder antworteten auf das Halleluja, und die Glocken begannen zu läuten. Der Abt sagte: »Unser Osterlamm ist geopfert, Christus, der Herr, ist geopfert!«
Wieder verspürte Abt Thomas einen Schmerz. Diesmal saß er nicht im Bein, sondern in der Brust. Wieder fühlte er sich schwach. Er blickte zum Kruzifix auf, das nun von allen Kerzen angestrahlt wurde. Jetzt ging es nicht mehr um den Tod. Jetzt ging es um die Auferstehung. Wir haben den Tod überwunden, dachte er. Jetzt geht es um das Leben.
Der Abt kniete mit gesenktem Kopf nieder. Er sah nicht den fremden Bruder in der Kutte der Mönche, der jetzt von der Seite kam und schnell hinter ihn trat. Nur der Prior sah ihn und hob die Hand. Fremde hatten bei der Festfeier im Altarraum nichts zu suchen.
Aber der fremde Kuttenträger handelte schnell und gezielt. Er zog unter seiner Kutte ein Messer hervor. Dem Prior blieb das Herz stehen. Und auch den anderen, die den Vorgang jetzt in aller Flüchtigkeit sahen, versagte das Herz. In der breiten Schneide der Waffe spiegelte sich für einen Herzschlag der Glanz der Kerzen, das Licht von überall her, der Schein blendete den Prior für einen Augenblick.
Als er wieder sehen konnte, stand der fremde Kuttenträger, dessen Gesicht verborgen blieb, direkt hinter dem knienden Abt. Er hob die furchtbare Waffe mit beiden Händen. Und ließ sie niedersausen. Dann stach er erneut zu.
Der erste Stich fuhr dem Abt in den Hals. Die nächsten trafen wahllos Hals und Schultern. Aus der rechten Halsseite schoss ein Blutstrahl hervor und benetzte den Altar.
Abt Thomas spürte das unsägliche Brennen in seinem Inneren. Jetzt kommt alles zu seinem Ende, dachte er. Jetzt, wo die stillstehenden Tage beendet sind. Aber wer ist es, der mein Ende beschleunigt?
Wer?
Als er auf dem Boden aufschlug, war er bereits tot.
4
Sommer 1316, an der Trave
»Ja«, sagte Henri de Roslin, »ich hätte es damals schon erkennen müssen. Aber erst viel später begriff ich, was hinter der Verschwörung steckte. Und welches Ausmaß sie hatte. Ich wurde zu lange auf falsche Fährten gelockt und ging ihnen nach wie ein Tier, das von einem überwältigenden Geruch angezogen wird. Als ich begriff, was wirklich vorging, war es zu spät.«
Die Hulk verließ das offene Meer und glitt langsam in die schmale Trave ein. Die lange Seereise war zu Ende. Die drei Gefährten wollten sich in Lübeck mit dem Nötigsten versorgen und dann den Landweg nach Hamburg beschreiten. Dort würden sie auf Henris Knappen Sean of Ardchatten stoßen und sich gemeinsam nach Brighton einschiffen.
Als das Schiff den Ort Travemünde passierte, blickten Henri, Uthman und Joshua mit gemischten Gefühlen zu den flachen, schilfgedeckten Häusern hinüber. Hier, an den zugefrorenen Wassern, hatte im Winter alles begonnen. Auch in Lübeck war ja alles vereist gewesen! Und was war danach nicht alles geschehen! Uthman und Joshua wollten sich, durch die lebendige Erinnerung aufgewühlt, nicht in Lübeck aufhalten. Sie mussten an den abtrünnigen Templer Le Roulx und an die schwarze Schwadron des grässlichen Marienordens aus Ruppin denken. In dieser Stadt, so schön sie war, rumorten finstere Mächte.
Henri ließ sich von solchen Gedanken nicht beeindrucken. Er dachte daran, wenigstens das Ordenshaus der Deutschritter noch einmal aufzusuchen. Er fühlte sich verpflichtet, vom Tod Jan Matreikos zu berichten.
Als die Hulk im Hafen anlegte, verabschiedete man sich von den Kaufleuten und ihrem Kapitän. Das Schiff würde neue Fracht aufnehmen und nach Novgorod zurückfahren. Man unterhielt feste Handelsbeziehungen zum deutschen Kontor der Lübecker Kaufleute, das den Namen »Peterhof« trug. Die Gefährten hörten diesen Namen zum ersten Mal.
Nachdem ihre Habseligkeiten entladen waren, nahmen die Angekommenen Quartier in einem Gasthof in der Nähe des Burgklosters der Deutschritter. Uthman und Joshua wollten für die Weiterreise sorgen, Henri suchte das Ordenshaus auf. Am Abend wollten sie sich an einem Stallkontor treffen, das Pferde und Wagen verkaufte.
Henri setzte sein Vorhaben sofort um, ging zu Fuß in den Burgbezirk und betrat unbehelligt die Ordensburg. Hier waren die schlechten Nachrichten von der fehlgeschlagenen Mission im Osten längst eingetroffen. Ein Bote aus Danzig hatte sie überbracht. Deshalb hing überall schwarzer Trauerflor.
Als Henri einem zuständigen Hauptmann des Ordens
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