Mord im Nord
Polizei und mich. Wenn Karl mir nicht sehr geschickt wesentliche Informationen vorenthalten hatte, löste die Botschaft bei der Polizei keinerlei Resonanz aus, sondern pures Unverständnis. Womit die Wahrscheinlichkeit gering war, dass sie der Adressat der Botschaft war.
Blieb folgerichtig nur ich. Wenn der Killer die Lebensweise seines künftigen Opfers ausspioniert hatte, wovon auszugehen war, dann wusste er vermutlich von unserer Verabredung. Er konnte ziemlich sicher sein, dass vor mir niemand zu Besuch kommen würde. Falls der Killer auch über meine Lebensweise informiert war, konnte er mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass ich auf der Suche nach Hans in der Umgebung des Häuschens durch Wald und Flur streifen würde und so die Leiche entdecken müsste. In diesem Fall wüsste er auch, dass ich mit dem Polizeichef ganz gut bekannt bin und deshalb als Finder der Leiche vermutlich etwas über die näheren Todesumstände erfahren würde. War etwa die Machtdemonstration wirklich gezielt an mich gerichtet? Und warum oder wozu?
Allerdings, konnte ich Adelina beruhigen, hätte ich mir nach den ersten Ängsten überlegt, dass meine Prämisse nicht unbedingt stimmen müsse, weil es durchaus weitere Adressaten als mich und die Polizei geben könne, nämlich dann, wenn jemand, der Bescheid wisse, aus der offiziellen Medienmitteilung der Polizei die Botschaft herauslesen könne. Als früherer Lokaljournalist kannte ich die Informationspolitik der Ausserrhoder Polizei und wusste, dass sie immer auf grösstmögliche Transparenz setzt – und dieses Wissen hätte der Killer, oder vermutlich eher seine Hinterleute, natürlich auch haben können.
Tatsächlich erschien in der Samstagsausgabe der Regionalpresse zwei Tage nach meinem Gespräch mit Karl Abderhalden eine kleine Meldung. Unweit seines Hauses im ab-gelegenen «Nord» in Trogen sei vor ein paar Tagen der fünfundvierzigjährige Historiker H.B. tot aufgefunden worden. Als Todesursache sei einwandfrei Herzversagen festgestellt worden. Über die näheren Todesumstände sei noch nichts bekannt, erste Hinweise auf Fremdeinwirkung hätten sich bisher nicht vertiefen lassen, würden aber weiter verfolgt.
Auch in den Ausgaben der Boulevardzeitung «Blick» und des Gratisblattes «20 Minuten» mit den Regionalseiten war die Meldung nur in der Kurzfassung zu lesen. Um weitere Recherchen auszulösen, war Hans Bärlocher einfach eine zu kleine Nummer im öffentlichen Leben gewesen und die Umstände seines Todes zu wenig spektakulär.
Immerhin wusste ich jetzt, dass die Botschaft des Killers und seiner Hinterleute durchaus noch andere Adressaten als mich gehabt haben könnte. Was mich zusätzlich beruhigte, war der Umstand, dass auch Karl Abderhalden das wissen musste. Immerhin musste ich davon ausgehen, dass er ähnliche Überlegungen wie ich angestellt hatte und sich dabei sicher fragen musste, ob ich vielleicht nicht doch in den Fall verwickelt war. Natürlich hatte er sich nichts anmerken lassen, doch die Existenz anderer potenzieller Adressaten nahm etwas Druck von mir und wahrscheinlich auch von ihm.
Langsam begann ich mich an den Gedanken zu gewöhnen, schon wieder in ein ungelöstes und wohl auch unlösbares Rätsel verstrickt zu sein. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, als mich Karl am folgenden Mittwoch von seinem Handy aus anrief, um mir wie versprochen das Ergebnis der toxikologischen Untersuchungen mitzuteilen. Diese hätten mangels anderer Aufträge etwas früher als geplant abgeschlossen werden können und hätten, wie von ihm vorausgesagt, nichts ergeben. Absolut nichts.
Weil er schon dabei sei, wolle er mir auch noch mitteilen, dass hingegen die vertiefte Untersuchung des Computers noch etwas ergeben habe: Hans hatte offensichtlich nächtelang Online-Poker gespielt und dabei in den letzten zwei Wochen vor seinem Tod immerhin fast zweitausend Franken gewonnen. Zudem gab es deutliche Hinweise darauf, dass er mit dem Online-Poker nicht erst mit dem Erwerb des neuen Laptops begonnen hatte.
Das, merkte ich an, könne zwar vermutlich die heimlichen Fragen seiner Bekannten beantworten, wovon Hans eigentlich gelebt habe, denn bei seinen bescheidenen Ansprüchen könnten auch regelmässige kleinere Gewinne zusammen mit seinen sonstigen Einkünften genügt haben. Ein Motiv für einen Mord sei das aber wohl kaum.
Nun ja, meinte Karl, es sei natürlich allgemein bekannt, dass solche Online-Casinos im grossen Stil als Geldwaschanlagen genutzt würden.
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