Mord im Nord
Tatort, also das Häuschen, das Hans gemietet hatte, lag noch innerhalb der Gemarkung von Wald, ebenso der Garten in Richtung Wiese. Der Gartenzaun musste direkt auf der Grenze liegen, und zwar sowohl das Stück parallel zum Zugangsweg in Richtung Südwest als auch das davon rechtwinklig abzweigende Stück Richtung Wald, das heisst Richtung Nordwest. Laut Karte biegt die Grenze am Waldrand, also an der Abbruchkante des Schluchthangs, wieder rechtwinklig Richtung Südwest ab, um sich nach einer Weile in einem weiteren rechten Winkel senkrecht hinab zum Bach und auf der anderen Seite ebenso wieder hinaufzuziehen.
Auf der anderen Seite dieser Gemeindegrenze liegt das Gebiet Nord, ein Teil von Trogen. So hatte ich bei meinem Alarmruf an die Polizei deshalb die Anfahrt zum Fundort beschrieben, und die Polizei hatte das übernommen und den Fundort mit «Nord» bezeichnet. Ich schaute noch einmal auf die Karte und stellte fest, dass die Leiche von Hans Bärlocher exakt auf der Grenzlinie zwischen Wald und Trogen gelegen haben musste.
Ich überlegte kurz, Karl anzurufen, um ihm meine Entdeckung mitzuteilen, wenngleich ohne Hinweis darauf, wie ich dazu gekommen war. Dann stellte ich mir kurz vor, wie er darauf reagieren würde. Zu Recht würde er die Relevanz dieser Information bezweifeln, denn wer kümmert sich heutzutage schon um Gemeindegrenzen? Gut, das war auch schon anders, zum Beispiel bei der Lösung Walds von Trogen gab es auch ordentliche Konflikte, aber das ist lange her und hat keine Bedeutung mehr. Dass der Ort des Mordes eigentlich gar nicht im Nord lag, war ein kleiner Schönheitsfehler, aber der Fundort der Leiche war offensichtlich wenigstens zur Hälfte im Nord, weswegen man die Kurzbezeichnung «Mord im Nord» als halbwegs korrekt durchgehen lassen konnte. Jedenfalls, so hörte ich Karl schon sagen, sei das alles keine wirkliche Hilfe und brächte ihn der Lösung des Falls keinen Schritt näher, weshalb ich auf den Anruf verzichtete.
Ich musste zugeben, dass mir die genaue Bedeutung der Botschaft nach wie vor ein Rätsel war. Es ging offenbar um irgendeinen Grenzkonflikt, doch ich hatte keine Ahnung, um welchen. Und schon gar nicht, was ich damit zu tun haben könnte. Seitdem, beendete ich diesen Teil meiner Geschichte, seien auch keine neuen Botschaften oder Informationen mehr eingetroffen. Der Fall blieb rätselhaft, doch ich hatte mich allmählich mit dieser Tatsache abgefunden, und auch das dumpfe Gefühl von Bedrohung hatte sich gemildert.
Jetzt war ja Adelina da. Es hatte mir gutgetan, ihr die ganze Geschichte erzählen zu können, oder jedenfalls annähernd die ganze. Es war spät geworden, und am nächsten Tag war die Beerdigung von Hans Bärlocher angesagt. Zu meiner grossen Freude versprach Adelina, mich zu begleiten. Wir gingen bald zu Bett, und da Adelina sagte, nach all den Gruselgeschichten fürchte sie sich davor, allein zu schlafen, schlüpfte sie in mein Bett. Ich nahm sie in den Arm, doch mehr als Kuscheln lag in dieser Nacht nicht drin, dazu waren wir beide zu erschöpft.
Am nächsten Morgen musste ich zunächst Adelina beruhigen, die sich bitterlich darüber beklagte, sie habe für eine Beerdigung nichts anzuziehen. Das fiel mir leicht, konnte ich ihr doch erklären, sie brauche dazu nur eine für einen Waldspaziergang geeignete Bekleidung. Beim späten Frühstück erzählte ich ihr dann mehr über die bevorstehende Beerdigung.
Die Polizei hatte in den Unterlagen von Hans einen handgeschriebenen Letzten Willen gefunden. Das mit dem Vererben der materiellen Güter war schnell geregelt, Hans hatte praktisch keine. Es gab auch einen Passus mit seinen Wünschen im Fall seines Todes, und darin hatte er mich gebeten, seine Beerdigung zu organisieren.
Die Polizei hatte das Dokument eingescannt und mir gemailt, und Karl rief noch persönlich an, um zu fragen, ob mir das Datum aufgefallen sei. Erst beim nochmaligen Blick auf das Dokument stellte ich fest, dass dieses nur eine Woche vor dem Ableben von Hans aufgesetzt worden war. Karl und ich waren uns einig, dass dieser Umstand nahelege, Hans habe sich bedroht gefühlt, und zwar massiv. Doch Karl brummte nur, solange wir keine Ahnung hätten, von wem und weswegen, bringe ihm das gar nichts.
Hans hatte sich gewünscht, dass sein Leichnam verbrannt und in eine kompostierbare Urne abgefüllt werden sollte, die wiederum an einem genau bezeichneten Platz ganz in der Nähe eines Bachlaufs einzubuddeln sei. Ein Kartenausschnitt und eine
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