Mord im Nord
schnell abbauen und deswegen kaum nachweisbar sind, vor allem dann, wenn man sie nicht gleich nach Todeseintritt suchen könne. Natürlich seien diese Substanzen ein wohl gehütetes Geheimnis, doch sei ebenso klar, dass es Profikiller und kriminelle Organisationen gebe, die über das einschlägige Wissen verfügten. Mal ganz abgesehen davon, dass auch die Polizei nicht ausschliessen könne, es gebe weitere, von denen sie noch nichts wisse.
Ich bremste Karls Höhenflug mit dem Hinweis, ich würde grundsätzlich nicht wetten, und schon gar nicht in diesem Fall, denn er sei hier der Fachmann und nicht ich, weshalb ich keinen Grund dafür sähe, auf die Gegenposition zu setzen. Karl schien nicht sehr überrascht ob meiner Weigerung zu wetten, und meinte nur trocken, die Wette hätte er mit Sicherheit gewonnen, denn alle Indizien deuteten tatsächlich auf einen Profikiller hin.
Zunächst mal gab es keine Zeugen. Die nächsten Nachbarn, die in einigen hundert Metern Entfernung in einem Bauernhaus direkt am Strässchen zum Haus von Hans lebten, waren am fraglichen Abend als ganze Familie bei der Vorführung des Schultheaters in der Kantonsschule Trogen gewesen, und in den Häusern weiter unten lebten die Bewohner ohnehin nur sporadisch oder hatten nichts Auffälliges bemerkt.
Nun war die Vermeidung lästiger Zeugen an diesem Ort am Ende der Welt allein noch kein kriminelles Meisterstück. Schon eher auf einen Profi hin wies das Fehlen jeglicher Spuren im Haus. Frische Fingerabdrücke wurden ausser jenen von Hans und den paar von mir keine gefunden, ebenso wenig sonstige verwertbare Hinterlassenschaften. Das Glas, das ich in die Hand genommen hatte, wies nur meine Fingerabdrücke auf, nicht mal jene von Hans, es war offenbar sorgfältig und professionell abgewischt worden.
Auch die Vorgehensweise wirkte professionell: Jemanden erst zu betäuben, ehe man ihm die tödliche Spritze setzt, verhindert, dass sich das Opfer noch wehrt, was zu auswertbaren Kampfspuren führen kann. Deshalb tippte Karl auf einen Profi, von dem er sich fast sicher war, dass er ein nicht nachweisbares Gift einsetzen würde, um auch da jegliche Spur zu verwischen.
Ich fragte Karl, ob er denn angesichts seiner düsteren Einschätzung der Lage überhaupt noch eine Chance sehe, den Fall aufzuklären. Er bestellte zunächst einen zweiten Halben und erläuterte mir dann, warum er den Eindruck nicht loswerde, dass da etwas nicht stimme. Zwar würde alles auf einen Profikiller hinweisen. Aber sie hätten nichts, aber auch gar nichts gefunden, was irgendeinen Hinweis darauf geben könnte, wie und warum der harmlose Hans Bärlocher ins Visier eines solchen habe geraten können.
Natürlich hatten sie den Laptop, auf dem unser Termin vermerkt war, gründlich untersucht, was schon deswegen einfach gewesen war, weil Hans gar nicht auf die Idee gekommen war, den Zugang zu seinem Computer mit einem Passwort zu schützen. Das Dumme war nur: Der Laptop war brandneu und erst vor zwei Wochen installiert worden. Offenbar waren vom Vorgängermodell diverse Dateien überspielt worden, doch diese beschränkten sich auf Dokumentationen der früheren Projekte und auf einige erste Doku- mente und Überlegungen in einem Ordner, den Hans für unser gemeinsames Projekt über Appenzeller Räusche angelegt hatte. Dazu kamen ein paar harmlose Fotos und eine grössere Musikdatei. Das Vorgängermodell, das es zweifelsfrei gegeben haben musste, war nirgends zu finden. Auch die Hoffnung, es sei vielleicht in einem Computerladen gegen das neue Modell eingetauscht worden, zerschlug sich bald, als man die bereits bezahlte Rechnung für den neuen Laptop fand, aus der hervorging, dass dieser im Internet bestellt und per Post geliefert worden war. Damit gab es keine Chance herauszufinden, ob sich auf dem alten Computer brisanteres Material befunden hatte als auf dem neuen. Selbst wenn entsprechende Dateien gelöscht geworden wären, hätte es eine gute Chance gegeben, sie zu rekonstruieren, doch da sich kein alter Computer fand, war diese Frage irrelevant.
Wohin Hans in diesen beiden letzten Wochen gesurft war, liess sich problemlos rekonstruieren, ebenso sein spärlicher Mail-Verkehr, doch selbst eine blühende Phantasie hätte nicht ausgereicht, um darin irgendeinen Zusammenhang mit einem Profikiller zu entdecken. Seine sozialen Kontakte schienen spärlich, sein digitales Adressbuch umfasste nicht mehr als zwei Dutzend Namen, lauter unbescholtene Bürgerinnen und Bürger, die nicht mal
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