Mord im Nord
wiedertreffen.
Als Zeichen ihres guten Willens bot sie mir an, das nächste Mal in meine Nähe zu kommen. Sie käme viel zu selten in den Alpstein, obwohl sie dort so gerne wandere. Ob wir nicht zusammen eine kleine Tour machen könnten? Unbegrenzt Zeit für lange Aufstiege habe sie nicht, aber so ein kleines bisschen Klettern, ohne Seil und so natürlich, und ein ordentlicher Gipfel zusammen mit mir, das wäre toll. Wir einigten uns dann darauf, mit der Schwebebahn auf den Säntis zu fahren und über den Lisengrat zum Altmannsattel abzusteigen, um von dort in leichter Kletterei auf den Altmann zu gelangen. Die spätherbstlichen Wetterprognosen waren gut, Schnee war auch so hoch oben bisher noch keiner liegen geblieben. Und so freute ich mich auf die Tour, die bald nach unserem Zürcher Treffen stattfinden sollte. Verstärkt wurde diese Vorfreude durch Claudias Ankündigung, sie wolle im besten Hotel für die Nacht nach der Tour ein Zimmer reservieren, und durch ihren Abschiedskuss, den sie diesmal direkt auf meinen Mund applizierte.
Damit könnte eigentlich diese Geschichte enden, Du weisst jetzt, dass der Appenzeller Secret nicht mehr ganz geheim ist, aber ich fürchte, das Entscheidende kommt erst noch …»
Berg- und Talfahrt
Bevor Adelina und ich weiterlesen konnten, fiel der Strom aus. Draussen tobte mittlerweile einer jener heftigen Herbststürme, die schon mal einen nicht mehr ganz sattelfesten Baum fällen können, und wenn dieser auf eine der hier auf dem Land noch weit verbreiteten offenen Stromleitungen stürzt, kann das für ein paar Häuser schon mal einen vorübergehenden Stromausfall bedeuten. Ich konnte Adelina beruhigen, es würde sicher nicht lange gehen, bis die wackeren Mannen vom Reparaturdienst zur Stelle wären, aber eine oder zwei Stunden könne es schon dauern, bis wir wieder Strom für meinen grossen Computer hätten, auf den wir das Schreiben von Hans der besseren Lesbarkeit halber geladen hatten.
Die Wartezeit nutzten wir, um über das, was wir bisher erfahren hatten, zu reden. Adelina meinte schnippisch, das sei ja wieder typisch Mann! Den Beginn einer Liebesgeschichte erzählen und dann seitenweise mühsame Handschrift zu verschwenden, um über die Geschichte von irgendwelchen Substanzen zu belehren. Gut, sie sehe ja ein, dass es bei der ganzen Geschichte auch um einen Konflikt zwischen Mutter Natur und Vater Labor ginge, doch das sei noch kein Grund, darüber seitenlange Abhandlungen zu schreiben.
Zur Ehrenrettung von Hans argumentierte ich, das sei halt Ausdruck seiner Persönlichkeit. Ich hätte ihn nun mal als einen von innerem Feuer beseelten Aufklärer erlebt, der immer Licht ins Dunkle bringen wollte, gerade wenn es um tabuisierte Themen ging. Themen, die andere mit einem Schlagwort in einer Schublade versenkten, wollte er von allen Seiten beleuchten. Er sah es geradezu als seine Lebensaufgabe an, sein so erworbenes Wissen hinaus in die Welt zu tragen.
Adelina seufzte etwas von Männern und ihren Missionen, und ich musste ihr recht geben, dass man alles, auch eine aufklärerische Mission, übertreiben könne. Sie schien durch diese Erklärung noch nicht mit männlichen Missionen versöhnt und warf mir vor, auch ich hätte etwas von diesem absolut sinnlosen missionarischen Drang in mir. Überhaupt habe sie während des Lesens des Briefes von Hans einige Male das Gefühl gehabt, ich sei der Verfasser, so ähnlich seien manchmal die Schreibstile.
Ich hatte das natürlich aufgrund meiner Neigung zur Differenzierung im Nahbereich nicht so wahrgenommen. Nichtsdestotrotz war auch mir klar, dass es Ähnlichkeiten zwischen Hans und mir gab. Ihn als mein «Alter Ego» zu bezeichnen, wäre sicher übertrieben gewesen, dazu hatte ich ihn auch zu wenig gut gekannt. Doch dieses Wenige hatte mir genügt, eine ausgeprägte geistige und seelische Verwandtschaft zu empfinden. Dazu zählten nicht nur ähnliche Interessenfelder oder unsere gemeinsame Liebe zum Alleinsein, sondern auch ein verwandtes Verhältnis zur Sprache, zu dem insbesondere die Liebe zu jener klassisch gepflegten Ausprägung des Deutschen gehört, die in den Ohren mancher Zeitgenossen ein klein wenig altertümlich klingt.
So sei es bei näherer Betrachtung gut möglich, musste ich Adelina gegenüber zugeben, dass Hans einen mit meinem vergleichbaren Schreibstil pflege oder eben gepflegt habe. Und wo ich schon bei klarsichtiger Selbsterkenntnis war, konnte ich auch eingestehen, dass das mit dem Restposten von
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