Mord im Pfarrhaus
behauptete, sie sei vom Wohlfahrtsverein, und nachdem sie Spenden gesammelt hatte, verschwand sie und es stellte sich heraus, dass sie mit dem Wohlfahrtsverein überhaupt nichts zu tun hatte. Man neigt so dazu, vertrauensselig zu sein und die Menschen nach ihrer Selbsteinschätzung zu bewerten.»
Nicht im Traum hätte ich Miss Marple als vertrauensselig beschrieben.
«Es hat Ärger wegen dieses jungen Malers gegeben, Mr Redding, nicht wahr?», fragte Miss Wetherby.
Miss Marple nickte. «Colonel Protheroe hat ihn aus dem Haus geworfen. Offenbar hat er Lettice im Badeanzug gemalt.»
«Ich dachte doch immer, dass sie etwas miteinander haben», sagte Mrs Price Ridley. «Dieser junge Mensch lungert ständig dort oben herum. Zu schade, dass das Mädchen keine Mutter hat. Eine Stiefmutter ist nie das Gleiche.»
«Ich behaupte, Mrs Protheroe tut ihr Bestes», sagte Miss Hartnell.
«Mädchen sind so durchtrieben», beklagte Mrs Price Ridley.
«Eine schöne Liebesgeschichte, nicht wahr», sagte die weichherzige Miss Wetherby. «Er ist ein sehr gut aussehender junger Mann.»
«Aber mit lockerem Lebenswandel», fand Miss Hartnell. «Zwangsläufig. Ein Maler! Paris! Modelle! Das ganze Drumherum!»
«Sie im Badeanzug zu malen», bemerkte Mrs Price Ridley. «Nicht sehr anständig.»
«Mich malt er auch», sagte Griselda.
«Aber nicht in Ihrem Badeanzug», entgegnete Miss Marple.
«Es könnte schlimmer sein», antwortete Griselda ernst.
«Unartiges Mädchen!» Miss Hartnell reagierte großzügig auf den Scherz. Alle anderen sahen leicht schockiert aus.
«Hat die liebe Lettice Ihnen von dem Ärger erzählt?», fragte mich Miss Marple.
«Mir?»
«Ja. Ich habe gesehen, wie sie durch Ihren Garten zu Ihrem Arbeitszimmer ging.»
Miss Marple sieht immer alles. Gartenarbeit ist gute Tarnung, und die Gewohnheit, Vögel durch starke Ferngläser zu beobachten, kann stets als Erklärung dienen.
«Sie hat die Sache erwähnt, ja», gab ich zu.
«Mr Hawes hat bedrückt ausgesehen», sagte Miss Marple. «Hoffentlich arbeitet er nicht zu viel.»
«Oh!», rief Miss Wetherby aufgeregt. «Fast hätte ich es vergessen. Ich wusste doch, dass ich Neuigkeiten für Sie habe. Ich sah, wie Dr. Haydock aus dem Haus von Mrs Lestrange kam.»
Alle schauten einander an.
«Vielleicht ist sie krank», gab Mrs Price Ridley zu bedenken.
«Dann muss das sehr plötzlich gekommen sein», sagte Miss Hartnell. «Ich sah sie nämlich heute Nachmittag um drei durch ihren Garten gehen, und da wirkte sie ganz gesund.»
«Sie und Dr. Haydock müssen alte Bekannte sein.» Das war Mrs Price Ridley. «Darüber schweigt er sich aus.»
«Merkwürdig», sagte Mrs Wetherby, «dass er es nie auch nur erwähnt hat.»
«Tatsache ist…», sagte Griselda mit tiefer, geheimnisvoller Stimme und schwieg wieder. Alle beugten sich erregt vor.
«Zufällig weiß ich», Griselda machte das sehr eindrucksvoll, «dass ihr Mann Missionar war. Eine schreckliche Geschichte. Er wurde aufgegessen, wissen Sie. Tatsächlich verzehrt. Und sie musste die Frau des Häuptlings werden. Dr. Haydock war auf einer Expedition und rettete sie.»
Einen Augenblick nahm die Erregung überhand, dann sagte Miss Marple vorwurfsvoll, aber lächelnd: «Unartiges Mädchen!»
Tadelnd klopfte sie Griselda auf den Arm. «Sehr unklug von Ihnen, meine Liebe. Wenn Sie solche Sachen erfinden, könnten die Leute sie glauben. Und manchmal führt das zu Komplikationen.»
Die Gesellschaft war merkbar ernüchtert. Zwei Damen standen auf und verabschiedeten sich.
«Ich frage mich, ob der junge Lawrence Redding und Lettice Protheroe wirklich etwas miteinander haben», sagte Miss Wetherby. «Es sieht jedenfalls so aus. Was meinen Sie, Miss Marple?»
Miss Marple schien nachzudenken. «Ich würde das nicht behaupten. Nicht Lettice. Eine ganz andere Person, würde ich sagen.»
«Aber Colonel Protheroe muss gedacht haben…»
«Auf mich hat er schon immer einen ziemlich dummen Eindruck gemacht», sagte Miss Marple. «Er setzt sich die falsche Idee in den Kopf und hält stur daran fest. Erinnern Sie sich an Joe Bucknell, den ehemaligen Wirt vom Blauen Eber? So ein Wirbel um seine Tochter, die angeblich etwas mit dem jungen Bailey hatte. Und die ganze Zeit war es dieses Biest von seiner Frau.»
Während sie redete, sah sie direkt Griselda an, und ich spürte plötzlich, wie heiße Wut in mir aufstieg.
«Glauben Sie nicht, Miss Marple», sagte ich, «dass wir alle dazu neigen, unseren Zungen zu freien Lauf zu
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