Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
Mann sprach nie mit mir darüber. Ich habe nur gehört, dass Userhets Grab irgendwo südlich von hier liegt, zwischen dem Ort der Wahrheit und dem Platz der Schönheit, wo die Königinnen bis in alle Ewigkeit schlafen.
Bei seinem letzten Besuch – und bei manchen davor auch – gingen mein Mann und der Hohepriester aus dem Dorf, wandten sich jedoch nicht nach Süden, sondern nach Norden. Sie nahmen meist den Weg zum Tal der toten Pharaonen.«
»Wurden sie dabei von jemandem begleitet? Einem Priester oder einem Schreiber – oder einem Sklaven?«, fragte Rechmire gespannt.
Sie schüttelte den Kopf. »Niemals. Userhet hat es ausdrücklich verboten und den Medjai sogar einmal befohlen, den Weg zu bewachen, damit ihnen auch ja niemand folgt.«
»Wie lange blieb der Hohepriester an jenem letzten Tag hier?«
»Er kehrte mit meinem Mann ins Dorf zurück, als sich Amuns Wagen zum westlichen Horizont neigte. Sie sprachen noch für eine Weile bei dem kleinen Tempel vor dem Tor miteinander, dann ließ sich der Hohepriester von seinen Sklaven zurück nach Theben tragen.«
Rechmire starrte gedankenverloren in den makellos blauen Himmel, dann schüttelte er den Kopf, weil er das Gefühl hatte, als würde dort Sehakek herumspuken und ihn auslachen.
»Ich danke dir, Hunero«, sagte er, ein wenig förmlich, und verneigte sich. »Du hast mir sehr geholfen. Auch wenn sich leider wieder einmal bestätigt hat, was ich dir bereits zu Anfang meines Besuches gestanden habe: Je mehr ich über deinen verstorbenen Mann erfahre, desto geheimnisvoller scheint er mir zu sein.«
Rechmire ging zurück zu seinem Haus und ließ sich von Tamutnefret ein leichtes Mahl auftragen, bevor er die heißesten Stunden des Tages auf dem Divan verdöste. Im Raum war es stickig, aber nicht so warm wie auf der Dachterrasse. In seinem Halbschlaf erschienen ihm die Fragen wie Luftspiegelungen in der westlichen Wüste, die am Horizont aufflimmern und sich in nichts auflösen, wenn man sie schärfer ins Auge fassen will.
Die Sprüche der Herzensfreude waren eine Sammlung von Liedern, die abwechselnd Männer an ihre Frauen und Frauen an ihre Männer richten konnten. Der mit der roten Tinte geschriebene Text war ein Auszug aus dem Lied einer Frau an ihren Geliebten. Hatte also eine Frau Kenherchepeschef dieses Gedicht gewidmet? Und wenn es nicht Hunero sein konnte – vorausgesetzt, sie hatte ihn nicht angelogen, als sie behauptet hatte, nicht schreiben zu können –, wer war es dann? Der Erste Schreiber hatte bis zu einem schon fortgeschrittenen Alter nie geheiratet, das musste jedoch noch lange nicht bedeuten, dass er nie eine Frau geliebt hatte. Andererseits war es natürlich auch möglich, dass dieser Text von einem Mann geschrieben worden war – vielleicht von jemandem, der im Auftrag Kenherchepeschefs, der so viele Bücher sammelte, die ganze Sprüchesammlung kopiert hatte, wobei Rechmire zufällig nur dieses eine Fragment in die Hände gefallen war. War es möglich, dass Kenherchepeschef seine Arbeiter nicht nur gezwungen hatte, Gräber für mächtige Männer in Theben anzulegen, sondern auch Texte für seine riesige Sammlung zu kopieren? Immerhin hatte ihm Sennodjem verraten, dass fast alle Arbeiter lesen und schreiben konnten – eine gute Voraussetzung, um sie auch in dieser Hinsicht auszubeuten. Hatte das alles etwas mit Userhet zu tun? Warum hatte der Hohepriester ungewöhnlich oft den Ort der Wahrheit besucht? Und warum war er mit Kenherchepeschef nicht zu seinem eigenen Grab gegangen, sondern in Richtung des Tals, in dem die Pharaonen für alle Zeiten schliefen?
Und wohin war das Traumbuch des Chnumhotep verschwunden – wenn es denn je existiert hatte? War es gestohlen worden? Hatte Kenherchepeschef selbst es versteckt oder jemandem gegeben? Wie war er überhaupt an ein Exemplar des verschollen geglaubten Werkes gekommen? Rechmires Gedanken glitten in einen wirren Traum über. Er sah sich selbst, wie er nackt durch das Tal der toten Pharaonen ging. Es war nicht Tag und auch nicht richtig Nacht, ein diffuses graues Licht ließ die Felsen weißlich schimmern. Spitze Steine schnitten seine Fußsohlen auf, doch aus irgendeinem Grunde konnte er sich nicht hinsetzen und ausruhen, sondern musste immer weiterlaufen. Schließlich stand er vor dem Eingang zum Grab des Merenptah. Der eingemeißelte Sitz des Kenherchepeschef war leer und er konnte auch keinen Arbeiter sehen. Allein betrat er das Grab. Obwohl er keine Öllampe mitnahm, wurde das Licht
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