Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
deuten. Manchmal gelingt es uns, meistens jedoch nicht. Doch Chnumhotep stand in der Gnade Thots. Er war Cheri-Sesch-Nisut des Cheops, der Oberste Schreiber des Pharaos. Er wusste jeden Traum zu deuten. Auf Befehl seines Herrn schrieb er sein Wissen nieder und so wurde Cheops der größte Pharao von allen, weil er stets wusste, was die Zukunft für ihn bereithalten würde. Doch am Ende seiner Zeit sagte ihm Chnumhotep aus einem Traum voraus, dass er bald in den Westen gehen müsse. Daraufhin wurde der Pharao zornig und befahl seinem verschwiegenen Baumeister und einigen Leibwächtern, Chnumhotep in einer geheimen Kammer der Großen Pyramide bei lebendigem Leibe einzumauern. Doch die Wut des Pharaos war vergebens – Chnumhoteps Traum war richtig, Cheops starb nur zwei Tage, nachdem er seinen Obersten Schreiber für immer in der Pyramide unter Steinen begraben hatte.
Chnumhoteps Buch überdauerte den Tod seines Verfassers – zunächst jedenfalls. Viele Schreiber machten Kopien seines Werkes, manche gaben es als eigenes Buch aus, doch die meisten waren so ehrlich, den wahren Verfasser zu nennen. Niemand wurde wegen dieses Buches mehr so mächtig wie Cheops, denn da es fast jeder lesen konnte, gab es nicht mehr nur einen Mann allein, der einen Vorteil davon hatte. Doch das Traumbuch des Chnumhotep wurde deshalb nicht wertlos – es gab weiterhin Antworten auf solche Fragen wie: Bleibe ich gesund? Soll ich morgen eine Reise antreten? Wird mein Kind einmal Schreiber werden?
Dann kam Der-dessen-Namen-niemand-nennt. Es gab nur einen Gott – Aton – und nur ihn allein, der dessen Willen deuten konnte. Dieser Herrscher hasste das Traumbuch, da es jedem, der lesen konnte, erlaubte, zumindest manche Blicke auf die Zukunft zu werfen. Also befahl Der-dessen-Namen-niemand-nennt seinen Dienern, die Häuser der Buchrollen, die Tempel, die königlichen Paläste und sogar die Villen der Vornehmen nach dem Traumbuch des Chnumhotep zu durchsuchen, alle Exemplare zu beschlagnahmen und im Tempel des Aton zu verbrennen, zur Freude des neuen, des einzigen Gottes. Als dieser Irrglaube endlich wie ein böser Spuk verschwunden war, war leider auch das Traumbuch des Chnumhotep mit ihm gegangen. Aton hatte zumindest hier gesiegt: Alle Exemplare des Buches waren verbrannt worden. So dachten die gebildeten Männer zumindest.«
Kaaper lächelte versonnen und starrte mit seinen trüben Augen auf das Licht, das durch die Fensterschlitze drang und helle Muster auf den staubigen Boden des Raumes zauberte. »Kenherchepeschef hat vielleicht irgendwo doch noch ein Exemplar des Traumbuches gefunden. Stell es dir einmal vor, Rechmire: Es gibt von Chnumhoteps Werk nur noch diesen einen Papyrus – so wie einst zu Zeiten des Cheops …« Seine Stimme verklang.
Rechmire stand mit zitternden Knien von seinem Sitz auf. »Hast du Bier in deinem Haus?«, fragte er.
Der Priester lachte. »In dem kleinen unterirdischen Raum müssten noch ein paar Krüge stehen«, antwortete er.
Er wartete, bis sein Besucher zwei Krüge geholt hatte und ihm einen davon reichte. Beide tranken in tiefen Zügen durch die Trinkhalme.
Das Bier war lauwarm und schmeckte sehr sauer, doch Rechmire spürte, wie es seinen Durst löschte und das Zittern seiner Hände vertrieb. »Du meinst also, dass sich derjenige, der das Traumbuch des Chnumhotep besitzt, zum Herrn der Beiden Länder aufschwingen kann?«, fragte er.
»So einfach geht das wohl nicht«, entgegnete der Priester vorsichtig. »Doch auf jeden Fall macht das Traumbuch denjenigen, der es geschickt zu nutzen weiß, zu einem reichen und mächtigen Mann – wenn auch vielleicht nicht zu einem glücklichen. Denn nicht immer kann es von Vorteil sein, die eigene Zukunft zu kennen.«
»Und nicht immer scheint das Traumbuch klar verständlich zu sein«, sinnierte Rechmire. »Denn wenn Kenherchepeschef es tatsächlich besessen hat, dann hat es ihn auf jeden Fall nicht davor bewahrt, im Grab des Merenptah erdolcht zu werden.«
Kaaper lachte. »Dann bleibt auch dir noch etwas Hoffnung. Denn wer immer das Traumbuch nun besitzt, wird damit dann nicht notwendigerweise alle deine Schritte richtig vorhersehen können. So werden dir das Traumbuch und sein Besitzer vielleicht doch in die Hände fallen.«
»Und damit der Mörder Kenherchepeschefs«, ergänzte Rechmire.
Der Priester blickte ihn mit trüben Augen an. »Du hast keinen Beweis, dass Kenherchepeschef tatsächlich das Traumbuch besessen hat, und erst recht keinen dafür, dass es
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