Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
mannshohen Papyrusstauden aus den Sümpfen schneiden«, fuhr der Priester gleichmütig fort. »Das allein ist noch kein Geheimnis. Doch dann werden die Stauden zu großen Bündeln verschnürt und in die Werkstätten der Papyrusmacher geschafft, die von den Medjai schwer bewacht werden. Dort wird das Mark mit scharfen Bronzemessern in dünne Streifen geschnitten und diese werden wie bei einer Matte zuerst horizontal, dann vertikal übereinander gelegt. Arbeiter pressen mit glatten Steinplatten beide Lagen zusammen, bis der Pflanzensaft herausgequetscht ist und die Streifen verklebt. Jetzt werden die Matten in der Sonne getrocknet und mit dem Reibstein glatt gestrichen. Am Ende werden die Matten mit Baumharzen zu den fünfmal mannslangen Rollen zusammengeklebt, die du kennst. Das ist alles.«
»Das ist alles?«, keuchte Rechmire. »Was du mir gerade verraten hast, reicht aus, um uns beide zu den Krokodilen zu schicken!«
Kaaper lächelte. »Ich hoffe also, dass du ein Geheimnis für dich behalten kannst«, antwortete er sanft.
»Warst du schon in einer dieser Werkstätten?«, fragte Rechmire.
Der Priester nickte. »Ich war mehrmals dort«, bestätigte er und klang dabei noch immer gleichmütig, »damals, als mir Amun noch klar am Himmel erschien. Jeder, der die alten Texte liebt und sammelt, wird sich irgendwann die Frage stellen, wie denn das Material beschaffen ist, auf dem sie einst niedergeschrieben worden waren. Denn wenn du dir deine eigene Sammlung an Buchrollen anlegst, musst du dich mehr um sie sorgen als um eine große Herde langhörniger Rinder. Papyrus wird alt wie die Haut eines Menschen, der zu lange in der Sonne arbeiten musste: trocken, spröde, faltig. Du musst ihn pflegen, wie die Prinzessinnen mit duftenden Essenzen ihre Haut pflegen – und manchmal musst du eine beschädigte Rolle reparieren, ganz so wie ein Arzt, der einen verletzten Menschen wieder heilt. Mit der Zeit lernst du, das Alter eines Papyrus zu ertasten: Zeigt die Oberfläche noch ein leichtes Muster der aufeinander gepressten Streifen? Oder ist sie schon von unzähligen Händen glatt gestrichen worden wie ein Kiesel im Fluss? Ist der Papyrus noch geschmeidig oder ist er beim Entrollen brüchig wie alter, dünner Teig? Hält das Harz noch oder sind die einzelnen Matten einer Rolle schon unverbunden? Deshalb versucht jeder, der Papyri sammelt, hinter das Geheimnis seiner Herstellung zu kommen. Und jedem, dem die alten Texte wirklich am Herzen liegen, wird dies auch irgendwann gelingen.«
»Auch Kenherchepeschef?«, warf Rechmire ein.
»Da bin ich mir ganz sicher«, antwortete der Priester und lächelte.
Rechmire schloss die Augen und flehte Thot stumm um Beistand an.
»Was steht auf diesem Papyrus?«, fragte Kaaper.
»Auf der Vorderseite findest du eine Kopie der Kadesch-Hymne. Auf der Rückseite stehen Texte von Kenherchepeschefs eigener Hand.« Rechmire machte eine kurze Pause, um die Wirkung des nächsten Satzes zu steigern. »Auszüge aus dem Traumbuch des Chnumhotep«, erklärte er dann.
Kaaper lächelte, als hätte sich ihm ein Gott offenbart. »Kenherchepeschef war nicht nur ein großer Sammler alter Texte, er war auch geschickt wie kein Zweiter im Lande Kemet, alte Papyri zu finden. Also hat er wirklich das Traumbuch gesehen?«
Rechmire las ihm die Auszüge vor und der Priester nickte. »Einen Spruch davon kenne ich. Ein paar Auszüge von Chnumhotep finden sich in späteren, weniger weisen Werken.«
Er schloss die Augen und zitierte aus der Erinnerung:
»Wenn sich ein Mann in seinem Traum sieht, wie er in einem sonnigen Garten sitzt – gut. Es bedeutet, sein Tag wird gut beginnen.
Wenn sich eine schwangere Frau in ihrem Traum sieht, wie sie einen Esel gebiert – schlecht. Es bedeutet, dass ihr Kind dumm sein wird.
Wenn sich eine schwangere Frau in ihrem Traum sieht, wie sie eine Katze gebiert – gut. Es bedeutet, dass sie noch viele weitere Kinder haben wird.
Wenn sich ein Mann in seinem Traum sieht, wie er Blut trinkt – schlecht. Er muss sich einem Kampf stellen.«
Rechmire schwindelte. Er dachte an seinen eigenen Traum.
»Was weißt du über das Traumbuch des Chnumhotep?«, fragte er mit halb erstickter Stimme.
Kaaper blickte ihn mit seinen trüben Augen überrascht an und zuckte dann mit den Achseln. »Alle Träume sind Offenbarungen der Götter«, erklärte er. »Sie schicken uns im Schlaf Bilder, die uns zeigen, was die Zukunft für uns bereithält. Doch es ist sehr schwer, diese Bilder richtig zu
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