Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
Begleiter im Tal verschwunden ist, dann kann das eigentlich nur etwas mit der Vorbereitung des Fluchs zu tun haben. Denn selbstverständlich kann dieser mächtige Zauber erst ausgesprochen werden, wenn die Mumie des Pharaos in der
Halle, in der man ruht
liegt. Sonst würden die Arbeiter sterben, bevor das Grab vollendet ist. Andererseits bedarf so eine Zeremonie sicher komplizierter Vorbereitungen. Und wer sonst hätte dies leisten können als Kenherchepeschef?«
»Also trifft der Tod des Ersten Schreibers auch den Hohepriester«, folgerte Rechmire.
»Ja, und vielleicht sogar mehr, als wir uns das vorstellen können. Womöglich musste Kenherchepeschef gar nicht wegen seiner eigenen Verfehlungen oder des geheimnisvollen Traumbuches sterben, sondern weil irgendjemand Userhet schaden will. Steht nichts sonst auf dem Briefentwurf?«, fragte Kaaper.
»Auf der Rückseite hat Kenherchepeschef eine Hymne geschrieben, die ich noch nie gehört habe«, antwortete Rechmire mit einem Achselzucken. »Ich weiß auch nicht, an welchen Gott sie gerichtet sein könnte.« Er las den Text vor.
»Es ist gut«, sagte Kaaper, als er geendet hatte. Der Priester blinzelte in Richtung der Fensterschlitze und fuhr fort: »Das Licht Amuns färbt sich schon rötlich. Es wird Zeit, dass ich seinen Tempel aufsuche und die abendlichen Rituale vollziehe. Du wirst mich entschuldigen.«
Kaaper eilte mit überraschend schnellen Schritten zur Tür und war verschwunden.
Rechmire blieb zurück, sprachlos vor Erstaunen. Er hatte gesehen, wie die Mundwinkel des Priesters gezuckt hatten, während er die Hymne vorgetragen hatte, und wie er seine knochigen Hände zu Fäusten geballt hatte. Irgendetwas an dieser Hymne hatte Kaaper über alle Maßen in Unruhe versetzt, vielleicht sogar in Angst. Doch Rechmire konnte beim besten Willen nicht erkennen, was an diesem Text so Furcht Einflößendes zu finden sei.
9. BUCHROLLE
D AS W UNDER DES A MUN
Jahr 6 des Merenptah, Achet, 10. Tag des Paophi, Set-Maat
Rechmire ließ Tamutnefret am nächsten Morgen einen großen Krug Bier brauen. Während die Sklavin die Maische ansetzte und mit ihren kräftigen Händen durchwalkte, ging er zur Zisterne vor dem Nordtor, um frisches Wasser zu holen.
Das Dorf war ein kleines Reich der Frauen und Kinder. Einige grüßten ihn auf seinem Weg die Straße hinunter, andere legten Gewänder zum Trocknen in die Sonne oder kamen ihm mit Wasserkrügen entgegen und sahen dabei durch ihn hindurch, als wäre er nicht mehr als aufgewirbelter Staub. Er erblickte nur einen Arbeiter – einen Mann, den ein halbwüchsiger Junge an der Hand aus dem Haus führte, weil seine Augen mit Leinenstreifen verbunden waren. Rechmire vermutete, dass es das Haus des Arztes war, doch er hatte den Mann bis jetzt noch nicht zu Gesicht bekommen. Kaaper war wahrscheinlich im Amuntempel und die Medjai ließen sich nirgendwo blicken.
Rechmire, dem inzwischen klar geworden war, dass er den Mord nicht in kurzer Zeit und nicht ohne die Hilfe der Menschen von Set-Maat würde aufklären können, grüßte mit erhobener Hand alle, denen er begegnete – auch die, die ihn ignorierten.
An der Zisterne traf er Hunero, die sich mit einem alten Mann unterhielt, der das Wasser vom Nil herbeigeschleppt hatte. Vom jahrelangen Tragen der schweren irdenen Krüge war sein Rücken krumm geworden wie ein Bogen, mit dem die reichen Jäger Thebens in der westlichen Wüste auf Antilopen- und Löwenjagd gingen. Die junge Witwe war so sehr in das Gespräch mit dem Alten vertieft, dass sie Rechmire erst bemerkte, als er neben sie getreten war.
»Oh«, rief sie aus, sichtlich verlegen, und blinzelte in die Sonne, bevor sie sich an Rechmire wandte. »Ich habe die Zeit vergessen. Ich müsste längst wieder zu Hause sein.« Sie verabschiedete sich mit einem Nicken von dem Alten, der kein Wort sagte, sondern ihr nur traurig nachblickte.
Rechmire senkte seinen Krug in die Zisterne hinab und machte sich ebenfalls auf den Rückweg. Er ging schnell, obwohl er unter der Last keuchte, denn er wollte Hunero einholen.
»Darf ich mir noch einmal die Papyri deines Mannes ansehen?«, fragte er sie, als er sie auf der Dorfstraße erreicht hatte.
Die junge Witwe hatte ihre Selbstsicherheit wiedergewonnen und nickte ihm lächelnd, aber wortlos zu, weil sie selbst unter der Wasserlast so schwer zu schleppen hatte, dass sie ihren Atem sparen musste.
Rechmire verbrachte den ganzen Vormittag in ihrem Haus und ging noch einmal alle Aufzeichnungen
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