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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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standen ein wenig zu eng beisammen, sodass sein Gesicht etwas Raubvogelhaftes hatte. »Kleiner Horus« nannten ihn seine Adoptiveltern manchmal noch heute, weil sie fanden, dass er die Züge des falkenköpfigen Göttersohnes trug. Er fragte sich, was Baketamun ausgerechnet an ihm fand, dass sie ihn vor allen anderen Männern im Lande Kemet erwählt hatte.
    Aufgeregt fingerte er an den Sandalen herum. Er war stolz auf seine langen, feingliedrigen Hände, die er sorgsam mit Ölen und duftenden Essenzen pflegte, damit man ihm ansah, dass er niemals hatte körperlich arbeiten müssen. Doch seine Geschicklichkeit schien ihn in diesem Moment verlassen zu haben. Schließlich gab er sein Vorhaben auf und schritt mit nur halb geschlossenen Sandalen zur Tür. Es war höchste Zeit, bald würde es im Palast von Sklaven wimmeln, die die erste Mahlzeit für ihre Herren zubereiten halfen.
    »Auf Wiedersehen, meine Schwester!«, flüsterte er, als er sich noch einmal an der Tür umwandte.
    »Ich werde Shedemde zu dir schicken, Bruder, wenn es wieder eine Nacht gibt, die ich gefahrlos mit dir teilen kann.« Baketamun hielt noch immer ihre Augen geschlossen. Sie rekelte sich wohlig in den Decken, dann drehte sie sich zur gegenüberliegenden Wand und schien sofort einzuschlafen. Rechmire wollte noch etwas sagen, hielt aber inne und warf ihr nur einen sehnsuchtsvollen Blick zu. Dann drückte er die Tür auf, vor der die ungeduldige Sklavin schon so lange gewartet hatte.
    »Es ist höchste Zeit, Herr!«, flüsterte Shedemde aufgeregt. Sie war rund dreißig Jahre alt, beinahe genauso groß wie Rechmire, aber deutlich schwerer. Ihr festes, blauschwarz schimmerndes Haar war schon wieder mehr als schulterlang, sodass sie es in ein oder zwei Monaten für eine neue Perücke Baketamuns hergeben konnte.
    »Am östlichen Himmel steht erst ein roter Hauch«, entgegnete Rechmire. »Nicht einmal der Hohepriester des Amun wird aufstehen, noch bevor sich Amuns goldener Wagen in seiner Pracht am Himmel gezeigt hat.«
    »Mein Herr nicht, aber seine Diener«, antwortete Shedemde spitz. »Hundertfünfzig Sklaven arbeiten im Palast des Userhet – hundertfünfzig Paar Augen, die vieles sehen, hundertfünfzig Paar Ohren, die vieles hören können … Also beeil dich und schweig!«
    Rechmire schluckte eine scharfe Bemerkung hinunter, die ihm auf der Zunge gelegen hatte. Er mochte zwar noch nichts mehr als ein junger Listenschreiber des Tschati sein, doch schon in dieser Stellung stand er so weit über jedem Sklaven, wie ein Höfling des Pharaos über einem gewöhnlichen Bauern. Er war empfindlich, wenn irgendjemand, ganz besonders ein Sklave, nicht die nötige Achtung gegenüber einem Schreiber aufbrachte. Andererseits genügte ein Wort Shedemdes, um ihn zu den Krokodilen zu schicken.
    Er folgte ihr einen kurzen, breiten Gang hinunter, bis sie auf einen säulenumstandenen Innenhof traten. In dessen Mitte lag ein rechteckiger Teich mit niedrigen gemauerten Seitenwänden, auf dem schwerer Lotos und blaue Seerosen schwammen, deren Blüten noch geschlossen waren. Im ersten grauen Tageslicht sah das Wasser schwarz glänzend aus wie Obsidian; Dunstschleier stiegen aus seiner Oberfläche und bildeten einen dünnen Nebel, als sie in den weit ausladenden Ästen einer Sykomore hängen blieben, die im Hof Schatten spenden sollte. Der Teich war von streng abgemessenen Beeten umgeben, in denen Chrysanthemen, Kornblumen und Mohn wuchsen, deren Duft schon am frühen Morgen vom Windhauch zwischen die Säulen getragen wurde.
    Shedemde rannte nicht quer über den Hof, sondern geleitete ihn entlang der Säulenreihen bis zum gegenüberliegenden Ende. Hier durcheilten sie eine große, beinahe vollständig leere Halle, die vielleicht nur zu Festbanketten genutzt wurde. Am anderen Ende stand eine große Wasseruhr, deren leises Tröpfeln in dem Raum nachhallte. Dann folgte er der Sklavin durch eine verwirrende Abfolge von Sälen, Korridoren und Innenhöfen.
    Alle Räume waren mit prachtvollen Wandmalereien geschmückt, deren Meisterschaft auch dem Palast des Pharaos alle Ehre gemacht hätte. Manche zeigten das Sumpfdickicht des Nilufers, andere den Hausherrn auf einem leichten Streitwagen in der Wüste, Pfeil und Bogen im Anschlag auf eine Gazelle oder stehend auf einer winzigen Nilbarke, in der hoch erhobenen Rechten die Harpune, mit der er auf ein Nilpferd zielt. Zwei Fresken verherrlichten den Hohepriester inmitten seiner Familie bei einem Gelage, für das Sklaven

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